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  • AutorenbildWalter Gasperi

Seules les bêtes - Die Verschwundene

Aktualisiert: 20. Apr. 2023


Mit sichtlichem Vergnügen lässt Dominik Moll das Publikum in seinem brillant konstruierten schwarzhumorigen Thriller im Dunkeln tappen und lüftet nur langsam, aber pointiert bis hin zur Schlusswendung die Geheimnisse.


Mit einer Ziege auf dem Rücken ist der junge Armand (Guy Roger "Bibisse" N’Drin) mit dem Fahrrad durch Abidjan, die ehemalige Hauptstadt der Elfenbeinküste unterwegs, doch als er ein Hotel betritt, bricht die Szene abrupt ab. Mit einem Schnitt wechselt Dominik Moll in die raue, im südlichen Zentralmassiv gelegene Kalk-Hochebene Causse Méjean, über die ein Schneesturm fegt. Die Gegensätze könnten größer nicht sein und erst nach rund der Hälfte des Films wird sich ein Zusammenhang zwischen den beiden Schauplätzen herauskristallisieren.


Zunächst aber liegt der Fokus auf der Bäuerin Alice (Laure Calamy), die zwar mit Michel (Denis Ménochet) verheiratet ist, aber mit dem wortkargen Joseph (Damien Bonnard) eine Affäre hat. Wieso dieser beim Sex so seltsam abwesend ist und sie beim nächsten Besuch brüsk von seinem Hof vertreibt, wird erst im zweiten Kapitel klar, in dem die teilweise schon zuvor geschilderten Ereignisse nun aus der Perspektive von Joseph erzählt werden.


Ist die Erzählung zunächst bruchstückhaft, so wird im Laufe der fünf Kapitel, in deren Zentrum in der Folge die junge Marion, Armand und Michel stehen werden, das Bild sukzessive vollständiger. Raffiniert heben Dominik Moll und sein Co-Drehbuchautor Gilles Marchand in iher Adaption von Colin Niels Roman "Seules les bêtes - Nur die Tiere" dabei auch die Chronologie auf und erzählen hintereinander und jeweils aus unterschiedlicher Perspektive, was eigentlich zur gleichen Zeit passiert oder holen später frühere Ereignisse nach. Ein großes Vergnügen ist es zu entdecken, wie die Teilchen ineinandergreifen und zunächst Unklares im einem der folgenden Kapitel sich ganz selbstverständlich klärt.


So wenig die einzelnen Figuren, zu denen auch die reiche Evelyne Dukat (Valeria Bruni Tedeschi) zählt, die seit dem Schneesturm als verschwunden gilt, sowie die junge Kellnerin Marion (Nadia Tereszkiewicz) und der junge Afrikaner Armand zunächst etwas miteinander zu verbinden scheint, so bestechend und raffiniert führen Moll /Marchand ihre Geschichten schließlich zusammen.


Vom Ton her steht "Seules les bêtes" dabei ganz in der Tradition von Molls schon über 20 Jahre zurückliegendem "Harry meint es gut mit dir", mit dem dem 59-jährigen Deutsch-Franzosen der Durchbruch, aber auch sein bislang einzig großer Erfolg gelang. Wie dieser Film beginnt auch sein neues Werk als düsterer Thriller, nimmt aber zunehmend die Züge einer schwarzhumorigen Komödie an, bei der man durchaus auch für einen geschickten Betrüger Sympathien entwickelt. Möglichst wenig sollte man freilich von der Handlung verraten, entwickelt der von einem starken Ensemble getragene Film doch einen sehr großen Teil seines Reizes aus den Geheimnissen, die erst langsam gelüftet werden.


Weil jeder der Protagonisten seine Geheimnisse bestens hütet, sind nämlich außer den direkt Betroffenen immer nur die Tiere von Armands Ziege über die Hunde von Joseph und Madame Ducat Zeugen der Ereignisse – und natürlich mit Fortdauer auch der Zuschauer.


Über das intelligente Vergnügen, das Moll mit der brillanten Konstruktion, die auch eine Lehrstunde in Sachen raffinierten filmischen Erzählens bietet, kommt aber auch der Gehalt nicht zu kurz. Denn da fehlt der Blick auf eine entsiedelte französische Provinz so wenig wie auf die bedrückenden sozialen Verhältnisse in Afrika, die nur allzu leicht dazu verleiten, sich etwas vom Reichtum der "dummen Europäer" mit kriminellen Mitteln abzuschneiden. Immer wieder geht es in diesen Geschichten aber auch um die Macht des Zufalls, der für unglaubliche Verknüpfungen sorgt, sowie die Macht des Geldes, dem die Sehnsucht nach einer tiefen Beziehung, die wiederum gerade in Zeiten von Internetkontakten blind machen kann, gegenübersteht.


Da mag sich auch für eine Nebenfigur der Traum vom Reichtum schließlich erfüllen, doch Hoffnung, dass damit Glück verbunden ist, macht das Schlussbild auf der windigen und kargen Hochebene nicht. Haften bleibt aber diese Einstellung, weil in ihr nach knapp zwei höchst wendungsreichen und unterhaltsamen Stunden die Gegensätze, von denen Moll in seinem schwarzhumorigen Thriller erzählte, wie unterm einem Brennglas gebündelt werden.


Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und - ab 26.4. - im Skino Schaan


Trailer zu "Seules les bêtes"



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