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  • AutorenbildWalter Gasperi

Semret


Die Zürcherin Caterina Mona erzählt ganz aus der Perspektive, der seit vielen Jahren in der Schweiz lebenden Eritreerin Semret von Migration und Integration: Ein sorgfältig gemachtes und stark gespieltes, einfühlsames Sozialdrama.


Seit über 10 Jahren lebt Semret (Lula Mebrahtu) in der Schweiz. Ihre 14-jährige Tochter Joe (Hermela Tekleab) ist hier aufgewachsen. Gemeinsam wohnen sie in einer kleinen Wohnung in Zürich. Semret arbeitet in der Geburtsstation des Krankenhauses als Pflegehelferin. Äußerst pflichtbewusst und hilfsbereit ist sie und hofft endlich in die Hebammenschule aufgenommen zu werden. Joe geht in die Schule. Zu Hause sprechen sie die Muttersprache Tigrinya, doch vor allem Joe wechselt hier immer wieder bruchlos in den Schweizer Dialekt. – Ein kleines, aber präzises Zeichen dafür, wie sehr Joe sich in die Schweizer Welt integriert hat, Semret sich aber davon abgrenzt.


Zeichen dafür ist auch, dass es für Semret neben der Arbeit praktisch nur das Leben in der Wohnung gibt. Nie geht sie aus, hat keine Freunde, vermeidet nicht nur jeden Kontakt mit der Außenwelt, sondern spricht auch mit Joe nicht über das Leben in Eritrea, ihre Flucht und Joes Vater.


Doch langsam will Joe mehr Freiraum, will Zeit bei ihrer Schweizer Freundin Hannah verbringen, deren Mutter eine ausgeflippte Künstlerin ist, oder auch in der kleinen eritreischen Community, in der sie den etwa gleichaltrigen Tesheme (Fanuel Mengstab) kennenlernt. Er weckt bei Joe auch den Gedanken, mehr über die Vergangenheit der Mutter zu erfahren, doch Semret schweig. Gleichzeitig fühlt sie aber auch, dass die geschlossene Welt und den Schutzpanzer, den sie um sich und Joe aufgebaut hat, langsam zerbricht.


Auch sie selbst geht ein bisschen aus sich heraus, als sie Teshemes Onkel Yemane (Tedros Teddy Teclebrhan) kennenlernt, der nach mehreren illegalen Jobs nun im Krankenhaus Hilfsdienste verrichten kann, aber immer noch die Abschiebung fürchten muss. Doch dieser leisen Öffnung, stehen immer wieder Ängste aufgrund ihrer Erfahrung mit Männern - oder zumindest einem Mann- gegenüber. – Bewusst im Diffusen bleibt der Film dabei, lässt an eine Vergewaltigung Semrets in Eritrea oder während der Flucht denken, formuliert das aber nicht aus. Indem hier der Fantasie des Zuschauers Raum gelassen wird, wirkt das stärker als durch Fixierung.


Man spürt, dass genaue Recherchen dem Film zugrunde liegen. Sorgfältig und genau schildert Mona die Konfliktfelder und bietet aus der Innensicht Semrets einfühlsam Einblick in die Ängste der Eritreerin. Auch diese traumatischen Erinnerungen an Krieg, Militärdienst und Flucht werden nur angedeutet, wirken aber dadurch stärker als eindeutige Visualisierung mittels Rückblenden.


Großartig und ungemein authentisch wird diese liebevolle Mutter von der aus Eritrea stammenden und in London lebenden Theaterschauspielerin Lula Mebhratu gespielt. Eindrücklich vermittelt sie Semrets Sorgen, Ängste und Sehnsüchte, lässt spüren, dass sie auch gerne aus diesem abgesicherten Lebensmodus ausbrechen möchte, aber die Angst größer als dieser Wunsch ist.


Sorgfältig herausgearbeitet ist auch die Beziehung zur Tochter Joe und deren wachsender Wunsch nach mehr Selbstständigkeit. Auch hier und bei der eritreischen Community sorgt die Besetzung mit Laienschauspieler*innen für ein hohes Maß Authentizität.


Bei aller Sorgfalt ist aber auch eine gewisse Biederkeit der Inszenierung nicht zu übersehen, die "Semret" mehr zu einem beachtlichen Fernsehfilm als zu großem Kino macht. Lieber nicht daran denken will man, was beispielsweise die Dardenne-Brüder aus diesem Stoff gemacht hätten. Einen bewegenden und vielschichtigen Einblick in die Befindlichkeit einer Migrantin und das Spannungsfeld zwischen Abschottung der Elterngeneration und Integration der folgenden Generation bietet das einfühlsame Spielfilmdebüt aber auf jeden Fall.


Semret Schweiz 2022 Regie: Caterina Mona mit: Lula Mebrahtu, Tedros Teddy Teclebrhan, Hermela Tekleab, Fanuel Mengstab, Manuela Biedermann, Mona Petri Länge: 85 min.



Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen


Trailer zu "Semret"


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