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  • AutorenbildWalter Gasperi

Schächten


Als ein NS-Kriegsverbrecher bei einem Prozess in den 1960er Jahren von einem österreichischen Gericht freigesprochen wird, beschließt ein junger jüdischer Unternehmersohn das Gesetz selbst in die Hand zu nehmen: Thomas Roth zeichnet in seinem Rachedrama ein düsteres Bild des Österreich der 1960er Jahre, doch der Film leidet auch an Klischeebildern und Vereinfachungen.


Von einem traumatischen Erlebnis des im Jahr 1944 achtjährigen Juden Victor springt Thomas Roth ins Wien des Jahres 1962: Victor Dessauer (Jeff Wilbusch) hat vor kurzem sein Studium in England abgeschlossen und arbeitet nun im väterlichen Textilhandel, der nach der Arisierung während der NS-Zeit in der Zweiten Republik zurückerstattet wurde.


Während der Vater seit der Ermordung von Frau und kleiner Tochter im Zweiten Weltkrieg ein gebrochener Mann ist, will Victor endlich Gerechtigkeit für die damals begangenen Untaten. Über den Nazi-Jäger Simon Wiesenthal (Christian Berkel) erfährt er, dass der dafür verantwortliche Kurt Gogl (Paulus Manker) nun unter dem Namen seiner Frau (Julia Stemberger) als angesehener Volksschuldirektor im Salzkammergut lebt. Ein Prozess wird angestrebt, doch als der Angeklagte dabei freigesprochen wird, beschließt Victor das Gesetz selbst in die Hand zu nehmen.


Vor vier Jahren hat schon Christian Frosch in "Murer – Anatomie eines Prozesses" ein eindrückliches Bild der Verdrängung der NS-Vergangenheit im Österreich der 1960er Jahre gezeichnet. Im Gegensatz zu diesem formal strengen Film, der sich ganz auf den Prozess konzentriert, orientiert sich Roth mehr am Mainstream-Kino und versucht auch spannende Unterhaltung zu bieten.


Mehr als auf den Kriegsverbrechen und dem Prozess fokussiert Roth so auf der Schilderung der gesellschaftlichen Stimmung im Österreich dieser Zeit. Die Ausstattung ist von Autos über Kleidung bis zu Tapeten sorgfältig, wirkt insgesamt aber doch recht kulissenhaft, sodass kaum eine dichte Atmosphäre aufkommt.


Aber auch der Blick auf die Menschen kann nicht überzeugen. Vertuschung der NS-Vergangenheit und weiterhin gärender Antisemitismus gehörten zwar sicher zum Alltag, doch in der Verkürzung der Darstellung auf Typen und Phrasendrescherei werden viele Klischees bedient.


Da spricht beim Prozess schon am Beginn ein Geschworener Gogl Mut zu und zeigt damit seine Voreingenommenheit, während von den Zuschauerbänken aus die Freunde Gogls die jüdischen Ankläger verlachen und diffamieren und dem Angeklagten zujubeln. Die katholischen Eltern von Victors Freundin Anna (Miriam Fussenegger) wiederum schweigen sich über ihre Tätigkeit während des Kriegs aus und verbieten der Tochter den Umgang mit dem Juden Victor, während die Polizisten glauben mit ihm umgehen zu können, wie sie wollen.


Es ist ein bedrückendes Bild Österreichs, das durch kalte Winterstimmung mit kahler Landschaft, Schnee und durchgängig desaturierten Farben verstärkt werden soll, doch statt differenzierter Ausarbeitung dominiert holzschnittartig-grobe Darstellung. Dazu kommt eine Handlungsführung, die Thrillerspannung aufkommen lassen will, aber vor allem gegen Ende hin überkonstruiert und unglaubwürdig wirkt.


Wird schon im Vorspanninsert angekündigt, dass der Film zwar auf wahren Begebenheiten beruhe, aber auch Figuren und Szenen aus dramaturgischen Gründen erfunden und fiktionalisiert worden seien, so stellt sich doch die Frage, wie viel hier noch der historischen Realität entspricht. So wurde schon aus dem realen Johann Vinzenz Gogl ein Kurt Gogl und der Prozess gegen ihn wurde von den 1970er Jahren in die frühen 1960er Jahre verlegt.


Auch das Presseheft liefert keine Informationen zu den dem Film zugrundeliegenden "wahren Begebenheiten". Anzunehmen muss man folglich, dass die ganze Geschichte um die Selbstjustiz Fiktion ist.


Problematisch ist aber gerade dabei die Position des Films. Denn Roth baut beim Publikum nicht nur Wut gegenüber der österreichischen Gesellschaft der 1960er Jahre auf, sondern stellt sich auch ganz hinter seinen Protagonisten. Ganz im Gegensatz zu Simon Wiesenthals Maxime "Recht, nicht Rache" lässt "Schächten" so Selbstjustiz als gerecht erscheinen, wenn man mit legalen Mitteln nicht zu seinem Recht kommt.


Schauspielerisch stark sind aber Jeff Wilbusch als Viktor, der sich zunehmend in sein Verlangen nach Gerechtigkeit oder Rache verbeißt, und vor allem Paulus Manker als sein Gegenspieler. Überzeugend verkörpert er einerseits den scheinbar freundlichen Volksschuldirektor und lässt doch immer ahnen, dass dieser Charakter auch äußerst brutal sein kann.


Der Kontrast dieser beider Männer, die in Parallelmontage immer wieder einander gegenüber gestellt werden, ist das Herz und Kraftzentrum von "Schächten". Doch diese schauspielerischen Qualitäten können nicht hinwegtäuschen über die Schwächen, zu denen auch eine bieder-uninspirierte Inszenierung gehört, die sich auf die Bebilderung der Handlung beschränkt, aber keinen Moment verdichtet und nur punktuell Spannung aufkommen lässt.



Schächten Österreich 2022 Regie: Thomas Roth mit: Jeff Wilbusch, Paulus Manker, Miriam Fussenegger, Julia Stemberger, Christian Berkel, Georg Friedrich, Konstantin Frank Länge: 110 min.



Läuft in den österreichischen Kinos, z.B. im Cineplexx Hohenems


Trailer zu "Schächten"



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