Mit starken Bildern, in denen Realität und Wahn verschwimmen, hat Philipp Stölzl Stefan Zweigs berühmte Novelle als Psychodrama eines Mannes inszeniert, der versucht in der Gestapo-Haft seine innere Freiheit zu bewahren: Ein atmosphärisch dichtes, stark besetztes Kammerspiel.
Nach Musikvideos unter anderem für die deutsche Rockband Rammstein schaffte Philipp Stölzl mit "Nordwand" 2008 als Spielfilmregisseur den Durchbruch. Wie er mit diesem Film über den gescheiterten Versuch der Erstbesteigung der Eiger Nordwand im Jahr 1936 an den klassischen deutschen Bergfilm der 1920er und 1930er Jahre anknüpfte und ihn gleichzeitig entstaubte, so fand er mit "Goethe!" (2010) einen frischen und jugendgemäßen Blick auf den Dichterfürsten.
Als vielseitig erwies sich Stölzl, der auch am Theater arbeitet und unter anderem für die Bregenzer Festspiele auf der Seebühne Verdis "Rigoletto" inszenierte, mit der soliden Verfilmung des Bestsellers "Der Medicus" (2013) und des Udo-Jürgens Musical "Ich war noch niemals in New York" (2019). Keine biedere Bebilderung, sondern ein eigener Blick auf Stefan Zweigs berühmte Novelle war so zu erwarten und Drehbuchautor Eldar Grigorian änderte auch Einiges an der Vorlage und verdichtete durch Verknappung deren Aussage.
Gestrichen wurde so nicht nur der Distanz erzeugende Ich-Erzähler Zweigs, sondern auch die Rahmenhandlung mit der Schiffsfahrt von den USA nach Lateinamerika wurde deutlich umgeschrieben. Während Zweig, der sein letztes Buch erst einen Tag vor seinem Selbstmord am 23. Februar 1942 in Brasilien an den Verlag schickte, mit dieser Überfahrt eigene Erfahrungen verarbeitete, fokussieren Stölzl /Grigorian ganz auf dem Wiener Notar Josef Bartok (Oliver Masucci) und versetzen den Zuschauer in dessen Perspektive.
Auch im März 1938 sieht Bartok die Gefahr durch den Nationalsozialismus noch nicht – oder will sie nicht sehen und witzelt darüber. In warmen Braun- und Goldtönen beschwören Stölzl und sein Kameramann Thomas W. Kiennast das noch sorgenfreie großbürgerliche Leben, doch der drohende Schrecken wird schon bei einer Fahrt zu einem Ball mit den ganz in dunkles Blau und Grau getauchten Straßenszenen mit antisemitischen Demonstrationen von Nationalsozialisten spürbar.
Noch in der gleichen Nacht wird Bartok verhaftet, denn die Nazis sind hinter den Codes der Nummernkonten seiner vermögenden Kunden her. Im Wiener Hotel Métropole, das als Gestapo-Zentrale fungierte, trifft Bartok auf den Gestapo-Mann Franz-Josef Böhm (Albrecht Schuch), der durch Isolationshaft den Notar brechen will. Nicht nur jeder menschliche Kontakt, sondern auch jede geistige Nahrung soll dem Häftling bei dieser "Sonderbehandlung" entzogen werden, doch mit einem gestohlenen Schachbuch, dessen Partien er auswendig lernt und in der Zelle nachspielt, scheint Bartok sich seine innere Unabhängigkeit bewahren zu können.
Bald scheint er freigelassen zu werden und ein Schiff von Rotterdam in die USA zu besteigen, doch immer wieder brechen Erinnerungen an die Gestapo-Haft herein. Doch nicht nur die leicht surrealen, stets nebelverhangenen Bilder des übers Meer fahrenden Dampfers, sondern auch der Umstand, dass Bartok auf dem Schiff zwar seine Frau (Birgit Minichmayr) wieder zu treffen glaubt, Schiffscrew und andere Passagiere sie aber nicht sehen, oder eine an Kubricks "Shining" erinnernde Barszene, lassen Zweifel am Realitätscharakter dieser Szenen aufkommen. Wie für Bartok in seiner Isolationshaft verschwimmen so auch für das Kinopublikum zunehmend die Grenzen zwischen Zeit und Raum, zwischen Wahn und Wirklichkeit.
Dichte gewinnt diese Verfilmung durch die Konzentration auf den Protagonisten. Eine Bühne bietet Stölzl hier Oliver Masucci, der mit großer Intensität die psychische Belastung und Zerstörung des zunächst unbekümmerten Wiener Notars vermittelt. Gleichzeitig läuft Masucci aber auch Gefahr, seine schauspielerischen Fähigkeiten allzu offensiv auszustellen und mit seinem Spiel ganz gezielt auf Preise zu schielen.
Starke Gegenspieler hat er in Albrecht Schuchs scheinbar kultiviertem Gestapo-Mann, der hinter der ruhigen Fassade immer Brutalität und Entschlossenheit durchschimmern lässt, aber nicht auf physische Gewalt, sondern auf psychischen Druck setzt. Der Mann fürs Grobe ist dagegen ein physisch sehr präsenter Andreas Lust als Gestapo-Mann Johann Prantl, während Birgit Minichmayr als Bartoks Ehefrau daran erinnert, wie befreit und glücklich das Leben sein könnte.
Wie das Schachbrett vom Gegensatz von Schwarz und Weiß bestimmt ist, setzt auch Stölzl auf die Wirkung starker Kontraste. Neben Licht- und Farbdramaturgie ist es vor allem die Opposition von enger Zelle und weitem Ozean, in dem sich das Spannungsfeld von Haft und Freiheit spiegelt. Mit einem starken Spannungsfeld wird aber auch gespielt, wenn sich Bartok durch die Flucht in seine Gedankenwelt dem physischen Zugriff entzieht. Doch Stölzl zeigt auch, dass dies auf Dauer nicht folgenlos bleibt, der psychische Terror und die totale Flucht in die Gedanken schwere Spuren hinterlassen.
Atmosphärisch dicht beschwört Kameramann Kiennast mit nahen Einstellungen, Großaufnahmen, aber auch mit einem überraschenden Top Shot die Enge der Zelle und die Ausgeliefertheit Bartoks, setzt dem Dunkel aber auch die Hoffnung auf ein Licht am Ende des Tunnels gegenüber. Wenn dabei mehrfach auf Homers "Odyssee" Bezug genommen wird, dann durchzieht auch die große Sehnsucht nach Heimkehr diesen Film, die am Ende – ganz im Gegensatz zur Vorlage – zumindest teilweise, wenn auch mit schweren Schäden als möglich erscheint.
Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Cinema Dornbirn, im Skino Schaan und (ab 2.10.) im Kinok St. Gallen.
Trailer zu "Schachnovelle"
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