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AutorenbildWalter Gasperi

Riefenstahl

Mit einer Fülle von Archivmaterial zeichnet Andres Veiel ein komplexes Bild der Filmemacherin Leni Riefenstahl (1902 – 2003), die für die NS-Propagandafilme "Triumph des Willens" und "Olympia" verantwortlich zeichnet, aber bis zu ihrem Lebensende jede Involvierung ins NS-Regime von sich wies.


Mehr als die faktenreiche Nachzeichnung des Lebens der umstrittenen Filmemacherin Leni Riefenstahl interessiert Andres Veiel die Frage, wie man seine eigene Biographie konstruiert und dabei im Nachhinein Ereignisse umdeutet oder weglässt.


Durchgängig zieht sich so durch den Film das Wechselspiel von Ausschnitten aus Talk-Shows und Interviews mit Riefenstahl vor allem aus den 1970er Jahren sowie aus Ray Müllers Dokumentarfilm "Die Macht der Bilder: Leni Riefenstahl" (1993) auf der einen Seite und ihrem eigenen filmischen Werk, Notizen zu ihren Memoiren und Fotos auf der anderen Seite.


700 Kisten aus dem Nachlass von Leni Riefenstahl, die nach dem Tod ihres um 40 Jahre jüngeren Lebensgefährten Horst Kettner die Erben 2016 der Stiftung Preußischer Kulturbesitz übergaben, dienten als Grundlage für diesen Dokumentarfilm. Weil sich die TV-Journalistin Sandra Maischberger, die unbefriedigt über ein Interview war, das sie 2002 mit der damals Hundertjährigen geführt hatte, intensiv mit dem Leben Riefenstahls beschäftigt hatte, bot sie der Stiftung an den Nachlass aufzuarbeiten und erhielt dafür die Erlaubnis das Material für einen Dokumentarfilm zu nutzen.


So zog Maischberger, die als Produzentin fungiert, Andres Veiel bei, der schon mit "Black Box BRD" (2001) einen großartigen Dokumentarfilm über deutsche Gegensätze zur Zeit des RAF-Terrorismus gedreht hatte und bei "Beuys" (2017) intensiv mit Archivmaterial gearbeitet hatte. Ganz auf das Archivmaterial vertraut Veiel auch hier, verzichtet auf aktuelle Interviews, verwendet abgesehen von der Found-Footage einzig stellenweise einen von Ulrich Noethen gesprochenen Kommentar, der Szenen in den Kontext stellt oder Hintergründe erläutert.


Eine wahre Herkulesarbeit muss es gewesen sein, die Fülle an Fotos, Notizen, Filmschnipseln, Audiokassetten mit Telefonmitschnitten, Briefen, privaten Super-8-Aufnahmen und die verschiedenen Entwürfe für ihre Memoiren zu sichten und in eine schlüssige Form zu bringen. 18 Monate nahm so auch der Schnitt in Anspruch, für den Stephan Krumbiegel, Olaf Voigtländer und Alfredo Castro verantwortlich zeichnen.


Veiel entwickelt keine durchgehende Biographie mit Jahreszahlen und Fakten, sondern zeichnet vielmehr in assoziativer Montage ein komplexes Bild der umstrittenen Filmemacherin. Die Gewalterfahrungen durch ihren autoritären Vater werden ebenso angeschnitten wie der Ehrgeiz der Mutter, die in ihrer Tochter ihrer eigenen Träume realisieren wollte. Die Härte gegen sich selbst wird sichtbar, wenn Riefenstahl bei den Dreharbeiten zu den Filmen "Die weiße Hölle vom Piz Palü" (1929), "Stürme über dem Montblanc" (1930) oder "SOS Eisberg" (1933) bis an ihre Grenzen ging. Geprägt hat sie dabei auch die Arbeit in Männerteams von Weltkriegsveteranen wie dem Flieger Ernst Udet, die begeistert von Hitler waren.


Im Zentrum steht aber die NS-Zeit und ihr Umgang damit in der Nachkriegszeit. Ausschnitte aus dem Propagandafilm "Triumph des Willens" (1934) vermitteln einerseits ihre spürbare Begeisterung für Adolf Hitler und den Nationalsozialismus, während Riefenstahl in den Interviews und Talk-Shows der 1970er Jahre betont, dass es ihr immer nur um Kunst, nie um Politik gegangen sei. Die Beurteilung, ob diese Trennung freilich wirklich möglich ist, überlässt Veiel auf den ersten Blick den Zuschauer:innen, doch die Filmszenen überführen Riefenstahl immer wieder der Lüge.


Denn im Gegensatz zu ihrer Aussage, wird in "Triumph des Willens" durchaus über die angebliche "Überlegenheit der deutschen Rasse" gesprochen und auch ihre Feier der Schönheit der jungen und athletischen Körper in den beiden "Olympia"-Filmen (1938) geht mit einer Aussparung von Allem einher, was nicht in dieses Schönheitsideal passt.


Noch weiter ging diese Ausgrenzung, wenn sie bei der filmischen Dokumentation des Polenfeldzugs forderte, dass man am Straßenrand arbeitende Juden entferne, da sie nicht in das Bild passen würden. Zumindest in der Argumentation Veiels machte sie sich damit an deren Erschießung mitschuldig.


Der Ausbeutung und auch der Lüge überführt sie der Film, aber auch beim Blick auf ihren Spielfilm "Tiefland" (1940 - 1944), bei dem sie auch nicht davor zurückschreckte, Sinti und Roma aus einem KZ zu holen, um sie als Komparsen einzusetzen. Davon, dass diese danach nach Auschwitz deportiert und ermordet wurden, wollte sie nie etwas wissen, sondern behauptete immer wieder, sie nach Kriegsende unversehrt gesehen zu haben.


Die Gegenüberstellung von ihren eigenen Filmen und ihren Aussagen in den 1970er Jahren, bei denen sie auch in Wut ausbrechen konnte, wenn wiederholt nachgefragt und ihre Antworten nicht akzeptiert wurden, macht "Riefenstahl" nicht nur zu einem hochspannenden, sondern auch zu einem sehr komplexen Film. Durch diese Kontrastierung, aber auch durch die Entwürfe zu ihren Memoiren, in denen sie immer wieder Passagen strich, ergänzte oder umformulierte, macht Veiel eindrücklich sichtbar, wie Riefenstahl Herrin über ihre Biographie sein wollte, sie nach ihren Vorstellungen konstruierte und wie sie in ihren eigenen Film das, was nicht in ihr Bild passte, verdrängte, ignorierte und ausblendete.


Wie sehr sie dabei stets um ein möglichst positives Bild von sich selbst und nicht um Wahrheit bemüht war, machen auch Filmszenen von einem Interview für die Doku-Serie "Speer und Er" in den späten 1990er Jahren deutlich. Denn selbst als über 90-Jährige sorgt sie sich hier, dass das Licht ungünstig auf ihr Gesicht fallen könnte, schaut lange in den Spiegel und bittet die Kosmetikerin, eine Falte zu retuschieren.


In dieser intensiven Auseinandersetzung und Aufarbeitung der Verfälschung der eigenen Biographie entwickelt "Riefenstahl" über das Porträt der umstrittenen Filmemacherin hinaus aber auch Aktualität. Denn gerade in Zeiten von Fake News und Überflutung mit Videos auf den Social Media-Kanälen erinnert Veiel auch an die Macht der Bilder und ihre Interpretation durch die Macher, die Fakten ausblenden und ihre Meinung mit Vehemenz als objektive Wahrheit vertreten.


Irritierend ist freilich an Veiels Film, dass zwar bei allen Talk-Show- und Interviewszenen der Nachkriegszeit die Quellen eingeblendet werden, dass aber beim Material aus der NS-Zeit offensichtlich nicht von Riefenstahl gefilmte Auftritte von Hitler und Goebbels bruchlos mit Szenen aus ihrem Reichsparteitagsfilm "Triumph des Willens" gemischt werden.


Und irritierend ist auch die Anmerkung des Off-Erzählers, dass bei den Olympischen Spielen in Berlin noch viele Nationen in sportlichem Wettkampf zusammenkamen, während sie wenige Jahre später unterworfen wurden und Österreich zum ersten Opfer Nazi-Deutschlands wurde. Spätestens seit der Waldheim-Affäre in den 1980er Jahren wird diese "Opferthese" doch deutlich differenzierter gesehen.


 

Riefenstahl

Deutschland 2024

Regie: Andres Veiel

Dokumentarfilm

Länge: 115 min.


Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino Schaan.

Spielboden Dornbirn: Di 10.12. + Sa 14.12. - jeweils 19.30 Uhr

Kinothek extra in der Kinothek Lustenau: Mi 26.2., 20 Uhr + Mo 3.3., 18 Uhr


Trailer zu "Riefenstahl"




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