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  • AutorenbildWalter Gasperi

Riders of Justice - Helden der Wahrscheinlichkeit


In Anders Thomas Jensens pechschwarzer Komödie starten eine Gruppe von psychisch angeschlagenen Computer-Nerds und ein traumatisierter Ex-Soldat einen Rachefeldzug gegen eine Rockerbande. – Ein respektloses, politisch unkorrektes Vergnügen, bei dem einem das Lachen im Hals stecken bleiben kann, gleichwohl berührt die Situation der angeschlagenen Protagonist*innen.


Regiert der Zufall oder steckt hinter allem Geschehen Gott oder ein Schicksal, fragt sich der Teenager Mathilde (Andrea Heick Gadeberg) nach dem Tod ihrer Mutter bei einem Zugsunglück. Nichts wäre passiert, wenn ihr Fahrrad nicht gestohlen worden wäre oder wenn das Auto angesprungen wäre. Anders wäre der Tag verlaufen, wenn ihre Mutter nicht beschlossen hätte, gemeinsam mit ihr frei zu nehmen, nachdem der Vater Markus (Mads Mikkelsen) bei einem Anruf mitteilen musste, dass er drei weitere Monate im militärischen Auslandseinsatz – wohl in Afghanistan - bleiben müsse. Oder wenn auch nur der freundliche Mann im Zug der Mutter nicht seinen Platz angeboten hätte, wäre sie wohl nicht gestorben, sondern "nur" verletzt worden.


Diesen Mann – den Mathematiker Otto (Nikolaj Lie Kaas) – quälen nun nicht nur Schuldgefühle, sondern auch er macht sich gemeinsam mit seinem nervösen Kollegen Lennart (Lars Brygmann) Gedanken über das Zugsunglück. Sie prüfen am Computer Wahrscheinlichkeiten und kommen zum Ergebnis, dass es sich um einen gezielten Anschlag gegen einen Ex-Rocker handelte, der vor Gericht gegen seine ehemaligen Gang "Riders of Justice" aussagen wollte.


Weil die Polizei aber wenig Interesse an ihrer Theorie zeigt, wenden sie sich an den nun verwitweten Soldaten Markus. Vom Kriegseinsatz traumatisiert und unfähig zu trauern, steigt Markus auf die Überlegungen des Duos ein, das bald durch den schwer übergewichtigen Computer-Hacker Emmenthaler (Nicolas Bro) ergänzt wird. Doch es bleibt natürlich nicht bei den Gedanken, sondern Taten folgen in Form eines blutigen Rachefeldzugs, der freilich wieder zum Gegenschlag der Rocker führt.


Die Frage nach Zufall oder Schicksal, die auch immer wieder Tom Tykwer, Krzysztof Kieslowski oder David Fincher in einer brillanten Szene von "Der seltsame Fall des Benjamin Button" thematisierten, ist zwar der Aufgangspunkt von Anders Thomas Jensens pechschwarzer Komödie, doch bald rücken der Umgang mit Verlust und Trauer, Traumatisierung und psychische Beeinträchtigungen ins Zentrum. Da reicht die Bemerkung der Tochter, dass der Vater nach Rückkehr von seinem Kriegseinsatz wohl wieder nur im Keller sitzen und die Wand anstarren werde, um zu vermitteln, dass diese Erfahrungen unweigerlich psychische Narben hinterlassen haben.


Wie in den abrupten und teils extremen Gewaltausbrüchen von Markus diese Traumatisierung immer wieder durchbricht, so tritt bald auch zu Tage, dass Ottos gelähmte Hand mit einem ihn schwer belastenden Unfall verbunden ist. Vielfach in psychologischer Behandlung war auch schon Lennart, fühlt sich aber deshalb als Experte auf diesem Gebiet und gibt sich gegenüber Mathilde, die das Zugsunglück und der Verlust der Mutter schwer belasten, als Krisenpsychologe aus. Gewaltpotential schlummert aber ganz offensichtlich auch im Hacker Emmenthaler, der unbedingt im Gebrauch automatischer Waffen geschult werden möchte und dann lustvoll herumballert.


Da mag man zuerst über diese Mathematiker lachen und Ablehnung gegenüber dem scheinbar kalten Markus empfinden, doch zunehmend berührt in diesem in herbstlich kalte Blau- und Grautöne getauchten, sonnenlosen Film das Schicksal dieser vier lädierten Männer. Das liegt freilich auch daran, dass Anders Thomas Jensen, der sich schon vor 16 Jahren mit "Adams Äpfel" als Meister der pechschwarzen Komödie erwiesen hat, die Rollen treffend besetzt hat, das Ensemble mit sichtlichem Vergnügen spielt und bestens harmoniert.


Wie gewohnt großartig ist Mads Mikkelsen als bärtiger und bulliger Soldat, der seinen Körper wie ein Schutzschild um seine verwundete Seele zu tragen scheint. Wortkarg spielt er diesen Witwer, der über seinen Schmerz nicht reden kann und jede Therapie ablehnt, aber leicht ausrastet. Starkes Profil gewinnen auch die drei sehr unterschiedlichen Nerds, die ihn umgeben. Gegenseitig Stütze sind sich diese Underdogs und Randständigen, wachsen zu einer Gemeinschaft zusammen, die schließlich in einem märchenhaften Finale vollkommen scheint.


Um politische Korrektheit schert sich Jensen freilich kaum und die Unbekümmertheit und Direktheit, mit der er die ernsten Themen Trauer und Verlust angeht und daraus eine pechschwarze Komödie entwickelt, ist sicher nicht jedermanns Sache. Doch gerade das Spannungsfeld zwischen der drastischen Handlung auf der einen Seite und dem tiefen Mitgefühl für die Hauptfiguren auf der anderen macht "Riders of Justice" nicht nur zu einem sehr unterhaltsamen, sondern auch zu einem bewegenden Film.


Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino Schaan. Ab 4. November in den österreichischen Kinos


Trailer zu "Riders of Justice - Helden der Wahrscheinlichkeit"


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