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AutorenbildWalter Gasperi

Retour à Séoul – Return to Seoul


Die junge Freddie wurde in Korea geboren, wuchs aber in Frankreich bei Adoptiveltern auf. – Mit viel Feingefühl und großer Eleganz erzählt Davy Chou, unterstützt von einem großartigen Ensemble, bewegend von der Suche nach den biologischen Wurzeln und von Zerrissenheit zwischen Kulturen und Identitäten.


Wenn die 25-jährige Freddie (Park Ji-Min) in Korea ihren biologischen Vater und deren Familie trifft, spürt man in der Authentizität und Intensität dieser Szenen, dass der als Kind kambodschanischer Eltern in Frankreich aufgewachsene Davy Chou genau weiß, wovon er erzählt und sich in diese Situationen bestens hineinversetzen kann. Doch nicht sein eigenes Schicksal diente als Grundlage für seinen zweiten Spielfilm, sondern die Biographie der in Südkorea geborenen und in Frankreich adoptierten Laure Badufle. Wie diese als 23-Jährige erstmals in ihr Geburtsland kam, so schickt auch Chou die 25-jährige Freddie nach Seoul.


Kein Einzelfall ist dabei diese Geschichte, denn nach dem Ende des Koreakriegs (1950 – 1953) wurden etwa 150.000 koreanische Kinder von ausländischen Eltern, die meisten von US-Amerikaner:innen, adoptiert. Lange gab es dabei kaum Restriktionen, einen Höhepunkt erreichte die Zahl dieser Auslandsadoptionen 1987 mit 8837. Erst als Südkorea 1988 durch die Olympischen Spiele ins Licht der Weltöffentlichkeit rückte und diese Praxis speziell von US-Medien thematisiert und kritisiert wurde, wurde von Seiten der Regierung begonnen, das Thema aufzuarbeiten und nationale Adoptionen durch finanzielle Unterstützungen stärker zu fördern.


Scheinbar mehr zufällig als geplant kommt Freddie ins ostasiatische Land, nachdem sie ihren ausgefallenen Japan-Flug nach Seoul umbuchte. Unvermittelt ist der Einstieg mit einer Szene in einem Guest House. Großaufnahmen dominieren, sodass man keinen Überblick gewinnt. Deutlich treten aber schon hier Mentalitätsunterschiede zwischen Frankreich und Korea zu Tage.


Freddies offenem Auftreten und Anquatschen anderer Gäste steht die Zurückhaltung ihrer neuen koreanischen Freunde gegenüber. Während sie einen jungen Mann für einen One-Night-Stand abschleppt, sieht er in Freddie sofort seine große Liebe und will eine dauerhafte Beziehung.


Zeigt sie zunächst zumindest nach außen nur wenig Interesse an der Suche nach ihren biologischen Eltern, so kontaktiert sie auf Hinweis ihrer koreanischen Freunde doch ein Adoptionszentrum. Genau schildert Chou hier das Procedere und tatsächlich meldet sich auf die Anfrage des Instituts der Vater (Oh Kwang-rok). Während die inzwischen getrennt lebende Mutter nicht reagiert, möchte er seine Tochter treffen.


Auch bei diesem Treffen zeigen sich wieder kulturelle Unterschiede. Fürsorglich kümmert sich zwar die Großmutter um die unbekannte Enkelin. Doch allein schon Sprachbarrieren erschweren den Kontakt, muss doch die Tante als Dolmetscherin fungieren und alle Aussagen des Vaters ins Englische übersetzen. Dazu kommt, dass der unter Schuldgefühlen leidende und dem Alkohol verfallene Mann Freddie mit seiner Aufforderung, dass sie in Korea bleiben soll und mit ständigen SMS nervt und unter Druck setzt, sodass sie bald den Kontakt abbricht.


Nah bleibt Chou durch den ganzen Film an Freddie. Konsequent aus ihrer Perspektive erzählt er und lässt sie – und mit ihr die Zuschauer:innen – von außen auf das asiatische Land blicken. Verstärkt wird dieses Gefühl der Diskrepanz durch die durchgängigen sprachlichen Barrieren, die immer wieder die Kommunikation erschweren.


So bleibt die junge Frau nicht nur eine Außenstehende, sondern spürbar wird auch ihre Fremdheit, die langsam ihre scheinbar feste französische Identität erschüttert. Zunehmend zerrissen zwischen den Kulturen wirkt die von Park Ji-Min in ihrer ersten Filmrolle vielschichtig und intensiv gespielte widerborstige und rastlose Protagonistin.


Auf der Suche sich Klarheit über ihre Wurzeln zu verschaffen und ihren Platz im Leben zu finden, wird sie, deren Zerrissenheit allein schon durch das Spannungsfeld von ihrem französischen Namen Frédérique und ihrem koreanischen Namen Yeon-hee zum Ausdruck kommt, so in den folgenden zwei und fünf Jahre später spielenden Kapiteln, ihre Identität mehrfach wechseln.


Befreit wirkt sie zwar am Ende als Wanderin in weiter – wie aus dem Nachspann hervorgeht – rumänischer Landschaft, doch auch hier gibt es nochmals einen Rückschlag, wenn sie schließlich am Klavier sitzt und Bachs "Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ" spielt.


Doch "Retour à Seoul" wird nicht nur von einem großartigen Ensemble, das unglaublich authentisch spielt, getragen, sondern lebt auch von der wunderbar runden und stimmigen Inszenierung Chous. Atmosphärisch dicht lässt er in eleganter Bildsprache in das koreanische Ambiente eintauchen und verhandelt packend und vielschichtig Fragen nach biologischen Wurzeln, Identität und Überwindung der kulturellen Zerrissenheit und Verlorenheit.


Dass dabei manche Dinge von Freddies Job für einen französischen Konzern bis zum Verhalten der biologischen Mutter nicht ausformuliert und aufgeklärt werden, schmälert die Wirkung von "Retour à Séoul" nicht, sondern steigert sie, denn diese offenen Momente sorgen dafür, dass dieser Film im Gedächtnis weiterarbeitet.

Retour à Séoul – Return to Seoul Frankreich / Deutschland / Belgien /Katar / Kambodscha 2022 Regie: Davy Chou mit: Park Ji-Min, Oh Kwang-rok, Guka Han, Kim Sun-young, Yoann Zimmer, Louis-Do de Lencquesaing, Hur Ouk-Sook Länge: 116 min.



Spielboden Dornbirn: Sa 20.5. + Di 30.5. - jeweils 19.30 Uhr Filmforum Bregenz im Metrokino Bregenz: Mi 31.5., 20 Uhr

Trailer zu "Retour à Séoul - Return to Seoul"



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