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  • AutorenbildWalter Gasperi

Radical - Eine Klasse für sich

Ein unkonventioneller Lehrer fördert in einer von Gewalt und Armut geprägten mexikanischen Grenzstadt mit seinen Methoden die versteckten Talente seiner Grundschüler:innen: Christopher Zalla gelang mit einem großartigen Ensemble ein mitreißendes, aber auch zu glattes Feelgood-Movie, das 2023 beim Sundance Film Festival den Publikumspreis gewann.


Am Anfang darf der fast schon obligate Hinweis "nach wahren Begebenheiten" nicht fehlen und am Ende soll die Authentizität des Geschilderten durch Fotos sowie Inserts bekräftigt werden. Zweifellos eine starke Geschichte hat Christopher Zalla mit dem unkonventionellen Lehrer Sergio Juárez (Eugenio Derbez) gefunden, der frischen Wind in die José-Urbina-López-Grundschule in der nahe an der texanischen Grenze gelegenen mexikanischen Stadt Matamoros bringt.


Datiert sind die Ereignisse aufs Jahr 2011. Schon die ersten Szenen vermitteln die Gewalt und Armut, die hier herrschen. Während der Teenager Paloma (Jennifer Trejo) mit ihrem Vater am Rande einer riesigen Müllhalde vom Verkauf des gesammelten Abfalls lebt, schleifen Drogendealer an einen Wagen gekettete Männer durch die Halbwüste.


Noch nicht ganz ins Drogengeschäft involviert ist der junge Waise Niko (Danilo Guardiola), der aber für seinen älteren Bruder als Drogenkurier arbeiten muss. Die kleine Lupe (Mía Fernanda Solis) muss sich dagegen anstelle ihrer überlasteten und ein weiteres Mal schwangeren Mutter um ihre beiden kleineren Geschwister kümmern.


Etwas unübersichtlich ist der ansatzlose Einstieg mit der Vorstellung dieser drei Kinder, vermittelt aber dicht ein Bild der sozialen Situation. Als Gegenpol erscheint die Schule, in der der Direktor Gehorsam und Disziplin als Grundlagen der Gesellschaft und des Lernens predigt. Die Erfolge bleiben aber aus, denn bei den nationalen Tests landet die Schule regelmäßig auf einem der letzten Plätze.


Doch nun tritt mit Sergio Juárez ein Vertretungslehrer, der auf ganz andere Methoden als auf Frontalunterricht setzt, seine Stelle an. Da heißt es plötzlich nicht mehr brav auf dem Stuhl sitzen, sondern die Tische werden als Rettungsboote präsentiert, die aber nicht alle Schüler:innen fassen können. Fragen, wer nun aber aufs Boot darf und wieso ein Boot nicht untergeht, lösen Nachdenkprozesse über physikalische und moralische Themen aus.


Statt auf stures Auswendiglernen setzt Sergio auf die Denkfähigkeit und Selbstständigkeit der Schüler:innen und betont die Wichtigkeit von Fehlern, aus denen man lernen kann. Erstmals gibt es mit ihm jemanden, der diesen jungen Menschen etwas zutraut, an sie glaubt, ihr Selbstbewusstsein stärkt und sie von einem Ausbruch aus dem tristen Milieu träumen lässt.


Unter dem Einfluss Sergios festigt sich bei Paloma so der Wunsch zunächst Raumfahrtingenieurin und dann Astronautin zu werden, während Lupe die Universitätsbibliothek aufsucht und einen Stapel philosophischer Bücher ausleiht. Sie möchte nämlich Lehrerin werden und auch das Interesse Nikos, der den unkonventionellen Unterricht zunächst immer wieder stört, kann Sergio gewinnen.


Eingebettet in ein dicht gezeichnetes, bedrückendes Milieu und getragen von natürlich und engagiert spielenden Jungschauspieler:innen, die vom groß aufspielenden mexikanischen Star Eugenio Derbez in der Rolle Sergios angeführt werden, entwickelt Christopher Zalla in seinem zweiten Spielfilm ein mitreißendes Feelgood-Movie über die Lust und Freude, die spielerisch-entdeckendes Lernen machen kann.


Mehrfach feiert der 1974 in Kenia geborene, in Bolivien und den USA aufgewachsene und in Guatemala lebende Regisseur in schnellen Montagesequenzen emphatisch die Erkenntnisse, die die Schüler:innen durch unkonventionelle Experimenten gewinnen und lässt sie auch über die Ideen John Stuart Mills diskutieren. Weil Sergio, der ganz in der Tradition des engagierten Lehrers in Peter Weirs "Der Club der toten Dichter" steht, sich dabei aber nicht um den Lehrplan kümmert, muss es selbstverständlich auch zum Konflikt mit der Schulbehörde kommen, mit der Zalla auch Korruption anprangern kann.


Nach klassischem Muster ist "Radical – Eine Klasse für sich" gebaut, wenn auf ersten Widerstand der Schüler:innen gegen den unkonventionellen Lehrer und wachsende Begeisterung für seine Methode des entdeckenden Lernens nach etwa zwei Drittel des Films ein schwerer Rückschlag folgt. Vorhersehbar ist aber auch, dass sich schließlich Sergios Methode als die richtige erweisen wird, denn bei ihm haben die Kinder denken gelernt, sodass sie bei der finalen Prüfung in der Lage sein werden, mit ihrem Verstand auch Aufgaben zu lösen, die sie zuvor im Unterricht nicht trainiert haben.


Ansteckend ist dieser Schulfilm, der nahezu durchgängig in blasse Beige- und Grüntöne getaucht ist, die wohl das desolate Milieu vermitteln sollen, so in der Feier des entdeckenden Lernens, wirkt aber gleichzeitig auch schöngefärbt und glatt. Zalla legt nämlich mit Paloma und Lupe den Fokus auf Ausnahmeschülerinnen, ausgespart bleiben dagegen die, für die sich weder große schulische Erfolge einstellen noch sich Träume vom Ausbruch aus dem Milieu erfüllen. So geht es auch nicht um Realismus, sondern darum Mut und Hoffnung zu machen und die Kraft von selbst entdeckendem Lernen und empathischem Blick auf junge Menschen zu vermitteln: Das gelingt diesem leidenschaftlichen Drama zweifellos großartig.     Radical – Eine Klasse für sich USA 2023 Regie: Christopher Zalla mit: Eugenio Derbez, Daniel Haddad, Jenifer Trejo, Mia Fernanda Solis, Danilo Guardiola, Gilberto Barraza, Victor Estrada, Manuel Márquez, Christian González Länge: 125 min.



Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B im Kinok St. Gallen und Skino Schaan. - Ab 19.4. in den österreichischen Kinos


Trailer zu "Radical - Eine Klasse für sich"




 

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