
Im Algerien der 1990er Jahre sagen Islamisten auch mit Anschlägen westlichen Einflüssen den Kampf an und fordern die Verschleierung der Frau. Eine Modedesign-Studentin will sich davon aber nicht einschüchtern lassen und beschließt eine Modeschau zu organisieren. – Mounia Meddour beschwört in ihrem Langfilmdebüt mitreißend die Lebensfreude junger Frauen, die den Repressionen und dem Terror trotzen.
Die 1978 geborene Algerierin Mounia Meddour weiß, wovon sie erzählt. Sie hat selbst als Jugendliche den "algerischen Bürgerkrieg", der auch als "schwarze Dekade" bezeichnet wird, miterlebt. 150.000 Algerier kamen dabei zwischen 1991 bei den Kämpfen zwischen der Regierung und verschiedenen islamistischen Gruppen ums Leben, eine Million wurde vertrieben, Zehntausende verließen das Land. Morddrohungen veranlassten auch die Familie der Regisseurin in den späten 1990er Jahren nach Frankreich zu emigrieren, wo Meddour zunächst Journalismus und dann Kamera und Produktion studierte.
In jeder Sekunde ihres vibrierenden Langfilmdebüts, dessen Titel "Papicha" fröhliche junge Frauen bezeichnet, spürt man, dass hier persönliche Erfahrungen eingeflossen sind. Hautnah ist die Kamera von Léo Lefèvre an der jungen Nedjma (Lyna Khoudri) und ihrer Freundin Wassila (Shirine Boutella), wenn sie nachts aus dem Uni-Wohnheim abhauen, um in einer Disco ausgelassen zu Pop-Musik zu tanzen und auf der Damentoilette anderen Frauen selbst entworfene Kleider zu verkaufen.
Die Nähe zu den Figuren, von denen man vielfach nur die Gesichter oder die Hände bei alltäglichen Arbeiten sieht, die bewegte Handkamera und ein dynamischer Schnitt erzeugen nicht nur enormen Drive und große Sinnlichkeit, sondern lassen auch den Elan und die Lebensfreude dieser beiden jungen Frauen und ihrer Freundinnen intensiv spüren. Gleichzeitig macht schon am Beginn eine Polizeikontrolle deutlich, wie angespannt die Lage im Land ist und wie sehr man auf der Hut sein muss.
Konsequent zieht Meddour dieses Spannungsfeld von Lebenslust und Repressionen durch die Islamisten durch und steigert die Repressionen und den Terror sukzessive. Ausgelassen sieht man auf der einen Seite die Freundinnen tanzen oder im Meer baden, andererseits wird im Fernsehen immer wieder von Anschlägen berichtet, werden die Frauen mittels Plakate zur Verschleierung mit Hidschab aufgefordert oder eine Vorlesung von verschleierten Frauen gestürmt, weil der Professor auf Französisch und nicht auf Arabisch unterrichtet.
Mit einem genauen Blick für viele Details zeichnet Meddour ein intensives Zeitbild. Nicht nur von Männern geht hier nämlich die Unterdrückung der Frau aus, sondern eben auch von fanatischen Frauen, die auch ins Wohnheim eindringen und die Studentinnen terrorisieren.
Wie ernst es Meddour mit ihrem Film ist, wird in brutalen Szenen deutlich, die nachhaltig Erschütterung auslösen. Großartig gelingt ihr der schwierige Spagat einerseits die Beklemmung und den Terror dieser Zeit zu vermitteln, gleichzeitig aber mit dem Widerstandswillen und dem unerschrockenen Auftreten Nedjmas und ihrer Freundinnen immer auch Hoffnung zu machen, dass eine andere Welt möglich ist.
Wesentlich zur mitreißenden Kraft dieses sehr dynamischen Films tragen auch die unverbraucht und wunderbar natürlich agierenden Schauspielerinnen bei. Markant werden dabei auch unterschiedliche junge Frauen gezeichnet. Denn während für Nedjma das Entwerfen von Kleidern als Ausdruck ihrer Freiheit im Lebensmittelpunkt steht, rückt für Wassila die Liebe in den Mittelpunkt, während für die schwangere Samira ihr Bruder eine Hochzeit mit einem ungeliebten Mann arrangiert hat.
Es ist der Reichtum der Schattierungen, der sich von der Figurenzeichnung über einen Anschlag auf eine Videothek im Hintergrund bis zur Veränderung eines Kleidergeschäfts spannt, die "Papicha" so stark macht. Ein prägnantes Bild für die Einschränkung der Freiheit ist hier auch, wie sich die Umzäunung des Wohnheims ändert.
Während andere aber das Land verlassen wollen, bekennt Nedjma mehrfach ihre Liebe zu Algerien und will sich mit einer Modeschau den islamistischen Strömungen entgegenstellen. Mit ihren Entwürfen demonstriert sie nicht nur, welche vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten das traditionelle Baumwolltuch Haik bietet, sondern feiert damit auch ganz im Gegensatz zum Verhüllungsverbot mit tiefen Ausschnitten und viel Beinfreiheit den weiblichen Körper.
Gerade im abrupten und hochdramatischen Bruch dieser Szene macht Meddour dabei das Spannungsverhältnis zwischen den Möglichkeiten, die das Leben bietet und den rigorosen und mit Gewalt durchgesetzten Einschränkungen durch die Fundamentalisten deutlich. Wie am Ende dann aber dennoch nicht Niedergeschlagenheit steht, sondern mit der Freundschaft und Solidarität der jungen Frauen Hoffnung auf eine glückliche und befreite Zukunft beschworen wird, ist eine weitere der vielen Qualitäten dieser mitreißenden Feier weiblicher Selbstbehauptung.
Läuft derzeit in den Schweizer Kinos - z.B. im Kinok in St. Gallen und im Skino in Schaan.
Österreichstart vermutlich in den kommenden Monaten
Trailer zu "Papicha"
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