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  • AutorenbildWalter Gasperi

Paolo Sorrentino: Innere Leere hinter opulenter Oberfläche


Spätestens seit den europäischen Filmpreisen für "La grande Bellezza" (2013) und "Youth – Ewige Jugend" (2015) sowie dem Oscar für den besten fremdsprachigen Film für "La grande Bellezza" gilt der 1970 in Neapel geborene Paolo Sorrentino als zur Zeit bedeutendster Regisseur Italiens. Das Zurich Film Festival präsentiert nicht nur den beim Festival von Venedig preisgekrönten, autobiographischen neuen Film "The Hand of God", sondern zeichnet den Italiener auch mit dem "A Tribute to… Award" aus und widmet dem vor Einfallsreichtum sprühenden Erzähler, der oft als Nachfolger Federico Fellinis angesehen wird, eine Retrospektive.


International bekannt wurde Paolo Sorrentino 2008 mit seinem vierten Film "Il Divo" (2008). Abseits von klassischen Biopics zeichnet der Neopolitaner darin in mäandernder Erzählweise in einer Fülle kleiner, virtuos inszenierter Szenen und mit großem visuellem Einfallsreichtum ein schillerndes Psychogramm des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti. Sorrentino zeigt diese zentrale Figur der Democrazia Christiana nicht nur als Machtmenschen, der im Hintergrund die Fäden zieht, sondern spannt den Bogen von Andreottis Familienleben bis zu seinen Verbindungen zur Mafia.


Nicht nur die mäandernde Erzählweise und die Besetzung der Hauptfigur mit Toni Servillo, der in allen italienischsprachigen Filmen Sorrentinos die Hauptrolle spielt, verbindet "Il Divo" mit dem Oscar gekrönten "La grande Bellezza" (2013), sondern auch die Einsamkeit der Protagonisten trotz ihrer äußeren Erfolge und ihres scheinbar glanzvollen Lebens. Ist es in "Il Divo" die Macht, die Andreotti zu einem einsamen Menschen macht, so ist es in "La grande Bellezza" die Genusssucht, die den Journalisten Jep Gambardello letztlich nicht mehr befriedigen und die Leere hinter dem Partyleben nicht mehr verdecken kann.


Quer durch das Werk Sorrentinos ziehen sich diese Männer, die sich selbst und der Welt fremd geworden sind, jeden Lebenssinn verloren haben. Dies gilt für die beiden von Michael Caine und Harvey Keitel wunderbar gespielten alten Protagonisten in dem in einem Schweizer Alpenhotel spielenden "Youth - Ewige Jugend" (2015) ebenso wie für den von Sean Penn gespielten heruntergekommenen Ex-Rockstar in "Cheyenne - This Must Be the Place" (2011).


Wie Penn in diesem an grotesken Szenen reichen Roadmovie in der Suche nach einem alten Nazi, der einst seinen jüdischen Vater im KZ Auschwitz gequält hat, einen Ausweg aus seiner Antriebslosigkeit und Lethargie findet, so beginnt auch Servillos Journalist in "La grande Bellezza" anlässlich seines 65. Geburtstags nach einem Neubeginn zu suchen, während Michael Caine sich in "Youth" trotz der Frustration über das Altern am Ende doch noch einmal aktiv ins Leben stürzt.


Nicht nur in diesen jüngeren Filmen, sondern schon am Beginn von Sorrentinos Regiekarriere, der nach einem abgebrochenen Wirtschaftsstudium als Autodidakt das Drehbuchschreiben lernte und ab 1994 einige Kurzfilme drehte, stehen Männer im Mittelpunkt seiner Filme, während Frauen Nebenrollen spielen.


Querverbindungen stellen sich dabei auch von Anfang an zu seinem späteren Werk ein, wenn er in seinem Langfilmdebüt "L'uomo in più" (2001) wie zehn Jahre später in "This Must Be the Place" einen Musiker als Protagonisten wählt, wenn "Le conseguenze dell'amore" (2004) wie "Il Divo" um einen distinguierten Mann kreist, der in einem Hotel im Tessin mysteriöse Geschäfte macht oder in "L´amico di famiglia" (2006) wie in "Il Divo" mit einer Fülle von Szenen ein facettenreicher und ambivalenter Charakter gezeichnet wird.


Fortgesetzt hat Sorrentino diese Männerbilder auch mit seinen für Sky gedrehten TV-Mini-Serien "The Young Pope" (2016) und "The New Pope" (2020) und an dem leider oberflächlichen "Loro" (2018), in dem ein satirisches Porträt des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi gezeichnet wird.


Eigene Jugenderfahrungen verarbeitet der Neapolitaner dagegen in seinem neuesten, für Netflix gedrehten Spielfilm "The Hand of God" (2021). Vor dem Hintergrund der Karriere Diego Maradonas bei SSC Napoli erzählt Sorrentino darin von einem in einer exzentrischen Familie aufwachsenden 17-Jährigen, dessen Leben durch eine Tragödie schwer erschüttert wird, der er selbst durch seine Schwärmerei für den argentinischen Fußballstar entgeht.


Für Homogenität im Werk Sorrentinos, der neben seinen Spielfilmen auch Kurzfilme und Werbespots für Luxusmarken wie Bulgari und Armani gedreht hat, sorgt aber nicht nur sein phänomenaler Stammschauspieler Toni Servillo, sondern wohl noch mehr Luca Bigazzi, der bei allen Filmen Sorrentinos mit Ausnahme von dessen Debüt und von "The Hand of God" die Kamera führte. Mit seinen gleitenden Fahrten und grandiosen Tableaus verleiht er den Filmen einen unverwechselbaren visuellen Touch, der die überbordende barocke Erzählfreude des oft als Nachfolger Fellinis bezeichneten Regisseurs großartig unterstützt.


Kaum weniger wichtig sind aber auch eine raffinierte Musikmontage und ein grandioses Production-Design, die aber auch zum Vorwurf des Manierismus führten. Zweifellos ist nicht zu übersehen, dass Sorrentino tendiert seine inszenatorische Kunst zu zelebrieren und die Form über den Inhalt zu stellen – aufregenden Schau- und Hörgenuss in höchstem Maße bieten seine an visuellem und erzählerischem Einfallsreichtum überreichen Filme aber allemal.



Weitere Infos zur Retrospektive am Zurich Film Festival finden Sie hier.


Trailer zu "The Hand of God"


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