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  • AutorenbildWalter Gasperi

Filmbuch: Paolo Sorrentino - Das Werk eines Ästheten


Das erste deutschsprachige Buch über Paolo Sorrentino ist keine Monographie mit Analyse aller Filme des italienischen Oscar-Preisträgers, sondern eine Sammlung von drei Essays, die vor allem "La grande bellezza" aus unterschiedlicher Perspektive unter die Lupe nehmen.

Spätestens seit "La grande bellezza" (2013), der mit dem Oscar, dem Golden Globe und dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet wurde, ist Paolo Sorrentino der derzeit bekannteste Regisseur Italiens. In der Einleitung stellen die drei Autoren Christian Alexius, Lucas Curstädt und Björn Hayer den 1970 geborenen Neapolitaner in den Kontext der neuen vielfältigen Blüte des italienischen Films seit 2000, bei der man aber nicht von einer Welle sprechen kann.


Die Zusammenarbeit mit immer wieder gleichen Mitarbeitern wird ebenso beleuchtet wie das Ringen um Identität und Sinnstiftung, die Ambivalenz der Figuren, das Interesse für Kirchenmänner ("The Young Pope", 2016) und Politiker (Giulio Andreotti in "Il Divo" (2008) und Silvio Berlusconi in "Loro" (2018) ) und die Gleichwertigkeit von Hoch- und Popkultur als Konstanten in Sorrentinos Werk.


In der Schilderung seines Umgangs mit der Filmgeschichte wird dem Vorwurf nur abzukupfern (vor allem von Fellini) widersprochen und auch den Vorwürfen der Oberflächlichkeit und Misogynie wird entgegengehalten, dass nicht die Filme, sondern die beschriebene Gesellschaft oberflächlich und nicht der Regisseur, sondern seine Figuren misogyn seien.


Nach dieser gemeinsamen Einleitung der drei Autoren setzt sich Björn Hayer in seinem Essay mit der Schönheit in den Filmen Sorrentinos, speziell in "La grande bellezza", "The Young Pope" und "Loro" auseinander. Der Autor arbeitet dabei die ständige Ambivalenz zwischen äußerer oberflächlicher Schönheit der Filme und dem Streben nach tieferer Schönheit, aber auch das Wechselspiel zwischen dem Profanen und dem Religiösen und den Widerspruch zwischen sinnentleertem Leben und Sehnsucht nach Gefühl heraus. Als Konstante, die sich durch Sorrentinos Filme zieht, entdeckt Hayer dabei die Suche nach der eigenen Identität.


Christian Alexius widmet sich in seinem Essay der Inszenierung von Gesichtern in den Filmen Sorrentinos. Ausgehend von der Auseinandersetzung mit der Rolle des Gesichts als Kommunikationsoberfläche und der Bedeutung der Großaufnahme im Film im Allgemeinen, legt Alexius dar, wie sich der Oscar-Preisträger der klassischen Verwendung der Großaufnahme widersetzt. Am Beispiel von "La grande bellezza" arbeitet der Autor heraus, wie Sorrentino durch Großaufnahmen von Nebenfiguren, nicht nur an einer Demokratisierung des Gesichts arbeitet, sondern in der Betonung des menschlichen Gesichts auch ein Humanismus zum Ausdruck kommt, der in der Tradition des Neorealismus steht.


Als weitere Aspekte beleuchtet Alexius das Verhältnis von realem Gesicht und Maske, das sich speziell in "Cheyenne – This Must Be the Place" (2011) findet und die Inszenierung von Gesichtern von Frauen im Stil klassischer Venusdarstellungen von Botticelli oder Tizian. Schlüssig legt der Autor auch dar, wie sich im Wandel der Großaufnahmen des Protagonisten von "La grande bellezza" die Wandlung dieses Charakters und sein inneres Erwachen äußern.


Lucas Curstädt untersucht schließlich auf der Basis filmtheoretischer und philosophischer Überlegungen, wie in den Filmen Sorrentinos die Welt mit der Kamera In-Szene gesetzt wird. Ausführlich arbeitet der Autor dabei speziell an der Eröffnungsszene von "La grande bellezza" heraus, dass die Kamera nicht nur abbildet, sondern selbst zum Akteur wird. Die Kamera reagiert für Curstädt nicht nur auf die Figuren, sondern die Figuren reagieren auch auf die Kamera, sodass die Geste des Theatralen den ganzen Film durchzieht und für einen ästhetischen Überschuss sorgt.


Zweifellos machen diese fundierten und detailreichen Analysen Lust auf eine neuerliche Sichtung von "La grande bellezza". Andererseits setzen die Autoren aufgrund ihrer Fokussierung auf Details und im Verzicht auf eine Nacherzählung des Filminhalts auch die Kenntnis dieser Filme voraus. Auch die weitgehende Konzentration auf einen Film ist angesichts der Tatsache, dass es sich dabei um das erste deutschsprachige Buch über Paolo Sorrentino handelt, doch ein Manko. Gerne hätte man da doch mehr über die frühen Filme des Italieners, über seine Entwicklung bis hin zu seinen englischsprachigen Produktionen "Cheyenne - This Must Be The Place", "Youth" (2015) und den für Sky gedrehten Miniserien "The Young Pope" (2016) und "The New Pope" (2020) erfahren. Bedauerlich ist auch, dass es keine Filmographie gibt, die einen Überblick über das Werk vermitteln könnte. – So bleibt die Aufgabe eine umfassende Darstellung von Sorrentinos Schaffen zu bieten, anderen überlassen.


Christian Alexius, Lucas Curstädt, Björn Hayer, Paolo Sorrentino. Das Werk eines Ästheten, Büchner Verlag, Marburg 2020, 174 S., ISBN 978-3-96317-189-5, € 22 (ePDF: ISBN 978-3-96317-757-6, € 18)


Trailer zu "La grande bellezza"




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