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  • AutorenbildWalter Gasperi

Pamfir


In der westukrainischen Provinz unternimmt ein Vater alles, um seinem Sohn ein besseres Leben zu ermöglichen: Dmytro Sukholytkyy-Sobchuk schildert in seinem Langfilmdebüt nicht nur eindrücklich eine Welt, in der heidnische Rituale und Christentum aufeinanderprallen, sondern arbeitet auch souverän mit Genremotiven.


Noch bevor die Bilder einsetzen, versetzt schon das Krähen eines Hahns und das Bellen eines Hundes in eine ländliche Region. Schauplatz von Dmytro Sukholytkyy-Sobchuks Langfilmdebüt ist das westukrainische Bergland an der Grenze zu Rumänien.


In einer Scheune hat sich hier Leonid (Oleksandr Yastsentyuk), der lange im westlichen Ausland gearbeitet hat, ein langes Strohgewand und eine Tiermaske angelegt, um seinen Sohn Nazar (Stanislav Potyak) zu überraschen. Voll Freude umarmt der Sohn schließlich den Vater und bittet ihn über das Malanka genannte Karnevals- und Silvesterfest, das alljährlich am 13. Januar gefeiert wird, zu bleiben.


Mit beweglicher Kamera fängt Nikia Kuzmenko in einer langen ungeschnittenen Plansequenz die Wiederbegegnung in der Scheune ein, die mit der Rückkehr nach langer Abwesenheit mit dem Anfang vieler klassischer Western spielt. Wie die Plansequenz auf den "Pamfir" bestimmenden Stil einstimmt, so werden auch sogleich die Vater-Sohn-Beziehung und das heidnische Fest als zentrale Themen eingeführt.


Alles möchte nämlich Leonid, der einst Schmuggler war, der Kriminalität nach einem Zwischenfall aber abgeschworen hat, unternehmen, dass sein Sohn ein besseres Leben als er selbst führen kann. Ein Studium möchte er ihm ermöglichen und unbedingt verhindern, dass er in die Kriminalität abgleitet. Denn im Gegensatz zu Leonid, den alle aufgrund seiner Stärke Pamfir (Stein) nennen, betätigt sich sein Bruder Victor in der strukturschwachen Region weiterhin als Schmuggler.


Während Kameramann Nikia Kuzmenko die Innenszenen immer wieder in kräftige warme Gelb- und Brauntöne taucht, evoziert in den Außenszenen die winterliche Schneelandschaft eine frostige Atmosphäre. So glücklich auch Leonid, der vom bulligen Oleksandr Yatsentyuk mit großer physischer Präsenz gespielt wird, seine Frau Oleana und Sohn Nazar unter sich sein mögen, so bedrückend sind doch die gesellschaftlichen Verhältnisse.


Schnell möchte Leonid deshalb auch wieder in den Westen, muss dafür aber erst Geld für die Rückreisepapiere verdienen. Die finanzielle Situation verschlechtert sich aber, als Nazer durch Unachtsamkeit die Kirche in Brand steckt. So sieht sich Leonid schließlich gezwungen, ein letztes Mal als Schmuggler tätig zu werden.


Gekonnt arbeitet Sukholytkyy-Sobchuk, der schon für seinen Abschlussfilm "Krasna Malanka" die Vorbereitungen für das Malanka-Fest begleitete, mit zwei Ebenen. Einerseits zeichnet er mit dem Gegensatz zwischen christlicher Kirche und dem ausführlich geschilderten heidnisch-folkloristischen Ritual ein plastisches Bild der Widersprüchlichkeit dieser Region, andererseits entwickelt sich "Pamfir" mit Leonids erneutem Abgleiten in die Kriminalität zunehmend zum düsteren Gangsterfilm und Film noir.


Denn Leonid war offensichtlich nicht bewusst, dass inzwischen ein Mafioso, der auch beste Beziehungen zu den Behörden pflegt, mit seinen Handlangern den Schmuggel in der Grenzregion kontrolliert. Wenn er sich dabei in einer brutalen Konfrontation seinen zahlenmäßig weit überlegenen Gegnern furchtlos entgegenstellt und nicht klein beigibt, beweist er nicht nur, dass er den Beinamen Stein völlig zurecht trägt, sondern gleichzeitig scheint sich der 40-jährige Regisseur dabei auch wieder an Westernhelden zu orientieren.


Aber auch die Vater-Sohn-Geschichte gewinnt hier nochmals Tiefe und dramatische Kraft, wenn Leonid sich bis zum Letzten für einen Weg Nazers in eine bessere Zukunft einsetzt. Diesen aber kann es scheinbar nicht in der Ukraine, sondern nur in der EU geben.


Auch wenn "Pamfir" noch vor dem russischen Angriff am 24. Februar 2022 entstand, so wird im Hinweis eines Polizisten auf Morde prorussischer Separatisten doch deutlich, dass sich die Ukraine schon vor dem offiziellen Kriegsbeginn in einem Kriegszustand befand. Diesem wäre auch dieses starke Debüt beinahe zum Opfer gefallen: Kurz vor der russischen Invasion gedreht, wurde der Film nämlich außerhalb des Landes fertiggestellt und das Tonmaterial konnte nur gerettet werden, weil sich ein Tonassistent nochmals ins Studio wagte und das Material rechtzeitig übertragen konnte.


Pamfir Ukraine / Frankreich / Polen / Luxemburg / Chile 2022 Regie: Dmytro Sukholytkyy-Sobchuk mit: Oleksandr Yatsentyuk, Stanislav Potyak, Solomiya Kyrylova, Olena Khokhlatkina, Myroslav Makoviychuk Länge: 102 min.


Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino Schaan.


Trailer zu "Pamfir"


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