Oxana – Mein Leben für Freiheit
- Walter Gasperi
- vor 2 Tagen
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Mit Entblößen ihrer Brüste entwickelte die ukrainische Gruppe Femen um 2010 eine neue, aufsehenerregende Form nicht nur des feministischen, sondern auch des politischen Protests: Charlène Favier zeichnet mit einer großartigen Albina Korzh in der Hauptrolle, aber in sehr kurzatmigen Szenen das Leben der Femen-Mitgründerin Oxana (oder: Oksana) Schatschko nach.
Vor fünf Jahren gelang der Französin Charlène Favier mit "Slalom" ein vielbeachtetes Spielfilmdebüt. Wie die Französin dort auf Basis von eigenen Erfahrungen anhand der Geschichte eines Teenagers von sexuellem Missbrauch im Skisport erzählte, so stellt sie auch in ihrem zweiten Kinofilm mit der Ukrainerin Oksana Schatschko (1987 – 2018) eine junge Frau ins Zentrum, die sich gegen Machtmissbrauch, die Macht der Männer und andere Missstände auflehnte.
Dem kleinen und persönlichen Debüt steht mit "Oxana" aber andererseits ein Film gegenüber, dessen Protagonistin ungleich mehr Beachtung fand und dessen Rahmen viel weiter gesteckt ist. Internationale Aufmerksamkeit erregte die 2008 von den Ukrainerinnen Oksana Schatschko, Anna Hutsol und Alexandra Shevchenko gegründete feministische Protestbewegung Femen nämlich, als die Frauen mit entblößten und mit Parolen beschmierten Brüsten gegen den Sextourismus in der Ukraine, dann aber auch gegen das diktatorische Regime von Alexander Lukaschenko in Belarus und nach den manipulierten Präsidentschaftswahlen 2012 in Russland gegen Vladimir Putin protestierten.
Um halbwegs geschützt zu sein, mobilisierten die Aktivistinnen immer möglichst viele Journalist:innen, dennoch blieben Verhaftung und heftigen Repressionen nicht aus, sodass sie 2013 in Frankreich um Asyl ansuchten. Dort widmete sich Oksana wieder der Kunst und verfremdete Ikonen, indem sie die Vagina der Heiligen Maria ins Bild rückte oder die Gottesmutter in einer Burka malte.
Charlène Favier wählt den 23. Juli 2018, an dessen Abend Oksana sich das Leben nehmen wird, als Rahmen für ihren Film, gestaltet die Ereignisse dieses Tages aber fiktiv. Vom Erwachen am Morgen über die Arbeit an einer Ikone, ein Gespräch mit einer Journalistin, Sex mit einer Zufallsbekanntschaft im Schwimmbad und eine Anhörung in der Asylbehörde bis zur Vernissage ihrer ersten eigenen Ausstellung spannt die Regisseurin den Bogen und unterbricht diese Ebene immer wieder durch Rückblenden.
Einerseits lässt dieser permanente Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit aber kaum einen Erzählfluss aufkommen, andererseits bleiben die Rückblenden sehr kurz. Schlaglichtartig wird so Einblick in die Genese der Protestbewegung, in die Entstehung des Namens "Femen" und der Entblößung der Brüste sowie des Rufs "unsere Brüste, unsere Waffen" als medienwirksames Protestmittel geboten, doch wirkliches Leben entwickeln diese Szenen kaum.
Statt mit plastischer Zeichnung des Hintergrunds und differenzierter Figurenzeichnung eine dichte filmische Erzählung zu entwickeln, werden hier vor allem häppchenweise und kurzatmig Informationen vermittelt. Wie spannend und dicht dieser Film hätte werden können, wenn man den einzelnen Szenen mehr Raum und Zeit zum Atmen gegeben hätte, zeigt die Protestaktion in Belarus.
Hier verschränkt Favier nicht nur Gegenwart und Vergangenheit, wenn sie Oksana der Beamtin von der Asylbehörde darüber erzählen lässt, sondern vermittelt auch beklemmend, mit welchen Gefahren dieses Engagement verbunden war. Intensiv macht der Film nicht nur die Anspannung der Aktivist:innen vor der Protestaktion erfahrbar, sondern schildert auch detailliert, wie Oksana und ihre beiden Freudinnen danach von Unbekannten am Bahnhof abgefangen, in den Wald verschleppt, zutiefst gedemütigt und mit dem Tod bedroht wurden.
Während diese Szene haften bleibt, verfliegen viele andere Momente in ihrer Kurzatmigkeit so rasch, wie manche Figuren im Film auftauchen und wieder verschwinden.
Zusammengehalten und getragen wird so dieses Biopic allein von einer großartigen Albina Korzh in der Titelrolle. Die Ukrainerin wurde wie die anderen Darstellerinnen der Femen während des beginnenden Ukrainekriegs in langwierigen Zoom-Sitzungen ausgewählt und dann nach Frankreich geholt.
Korzh vermittelt das leidenschaftliche Engagement und die Wut Oksanas, die ihre Mutter "meine kleine Jeanne d´Arc" nannte, ebenso eindringlich wie ihre Verletzlichkeit und ihre zunehmende Verzweiflung in Frankreich. Sie dominiert den Film, während alle anderen Figuren blass bleiben.
Wenn so "Oxana" als Film auch nicht zu überzeugen vermag, so muss man doch würdigen, dass damit eine schon fast wieder vergessene Protestbewegung in Erinnerung gerufen wird und einer kämpferischen jungen Frau, die ihren feministischen Widerstand gegen diktatorische Regime von Männern mit Exil und Verzweiflung bezahlte, ein Denkmal gesetzt wird.
Oxana
Frankreich / Ukraine / Ungarn 2024 Regie: Charlène Favier mit: Albina Korzh, Maryna Koshkina, Lada Korovai, Oksana Zhdanova, Yoann Zimmer, Noée Abita Länge: 104 min.
Läuft jetzt in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und Skino Schaan. - Ab 25.7. in den österreichischen und deutschen Kinos.
Trailer zu "Oxana - Ein Leben für Freiheit"
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