Statt sachlich mit Fakten ein Porträt des Konzeptkünstlers Not Vital zu zeichnen, nähert sich Pascal Hofmann mit einem assoziativen Fluss vielstimmiger Bilder und Töne der Gedankenwelt und dem Schaffen des Graubündners. – Ein künstlerisch aufregender, poetischer Essayfilm ist so entstanden, in dem sich der Regisseur auch immer wieder selbst ins Spiel bringt.
Auf biographische Fakten zum 1948 im Engadin geborenen Künstler Not Vital verzichtet Pascal Hofmann ebenso wie auf eine Chronologie. Vielmehr springt der Filmemacher ausgehend vom Plan eines Kunstwerks auf einer kleinen Insel vor Chile zurück in dessen Kindheit im Engadin, ebenso wie zu dessen Projekten in Afrika, seinem Aufenthalt in New York und in China. Erst nach rund 50 Minuten wird "NOT ME" zum chilenischen Ausgangspunkt zurückkehren.
Nicht die reale Kindheit Vitals interessiert Hofmann dabei, sondern einzig die prägende Wirkung der übermächtigen, mal schwarzen, mal verschneiten Engadiner Berge auf das spätere Schaffen und die unbändige Reiselust. Märchenhaft überhöht sind diese Szenen deshalb auch inszeniert, zielen nicht auf äußere Wirklichkeit ab, sondern sollen vielmehr das Innenleben des Jungen, seine Befindlichkeit und Sehnsüchte vermitteln.
So streift in den faszinierenden Bildern von Kameramann Benny Jaberg auch nicht nur ein schemenhafter Fuchs durch den verschneiten Wald, sondern in unscharfen schwarzweißen Stummfilmbildern sieht man auch Kamele, die im späteren Schaffen Vitals eine wichtige Rolle spielen werden, durch eine Schneewüste vor dem Hintergrund mächtiger Berge ziehen. Aber auch in anderen Szenen finden sich diese visuellen Verfremdungen, wenn beispielsweise mit grobkörnigen Aufnahmen die Stimmung in New York beschrieben wird, wo Vital prägende Auslandserfahrungen machte, und immer wieder verweisen Bilder von Flugzeugen beim nächtlichen Landeanflug auf eine Metropole auf das Nomadentum des Künstlers.
Auch Found Footage von einem Ausschnitt aus Frank Capras Weihnachtsklassiker "It´s a Wonderful Life" bis zu Bildern vom Mondspaziergang eines US-Astronauten arbeitet Hofmann ein, während auf der Tonebene Sound-Designer Christoph Brünggel melancholischen Jazz und vielfältige andere Klänge mit Kommentaren Vitals und persönlichen Reflexionen des Regisseurs mischt.
Kurz werden auch schwarzweiße Zeichnungen des Künstlers, der konsequent rätoromanisch spricht und stets dunkle Kleidung und immer den gleichen schwarzen Hut trägt, eingeschnitten und Inserts verleihen zentralen Gedanken Nachdruck, strukturieren aber bewusst den Film nicht. Auch auf die sonst üblichen Interviews mit Wegbegleitern und Bekannten des Porträtierten verzichtet Hofmann. Er fokussiert ganz auf dem Künstler, dem er mehrfach in Bejing durch dunkle Gassen mit der Kamera folgt und der auch selbst erklärt, dass er bei dieser filmischen Reise ins Unbekannte die Zügel in der Hand halten wolle und keine Objektivität angestrebt werden soll.
Zwar vermitteln Bilder der Häuser aus Erde, die Vital in Niger schuf, Gipsköpfen von Kamelen, zu denen ihn ein Erlebnis im Souk von Kairo inspirierte, seine Präsenz bei der Biennale von Venedig oder ein Mond aus Metall, den er in China bearbeitet, einen ungefähren Eindruck vom Schaffen des 73-Jährigen, doch mehr als Informationen vermitteln, will Hofmann das Publikum mit seinem assoziativen Bilder- und Soundteppich in die Gedankenwelt und Persönlichkeit des Rastlosen eintauchen lassen.
Wirklich fassen lässt sich "NOT ME" so kaum und Vital kommentiert einmal selbst "Bei diesem Film kommt keine Sau draus", doch unzweifelhaft entwickelt dieser vielstimmige, visuell faszinierende und ganz und gar ungewöhnliche Essayfilm einen Sog und weckt auch das Interesse sich näher mit Person und Schaffen dieses Ausnahmekünstlers und Kosmopoliten zu beschäftigen.
Läuft ab Donnerstag, 10.6. in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino in Schaan
Trailer zu "Not Me - A Journey with Not Vital"
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