top of page
  • AutorenbildWalter Gasperi

Nobadi


Ein misanthropischer alter Wiener engagiert einen jungen afghanischen Flüchtling für eine Arbeit im Garten. – Karl Markovics entwickelt aus diesem Zusammentreffen konträrer Figuren ein dichtes und von schwärzestem Humor durchzogenes Kammerspiel über lange verdrängte Schuld und aktuelle Vergehen.


Nachdem Karl Markovics in seinem großartigen Regiedebüt „Atmen“ von einem jugendlichen Straftäter erzählte, der einen Weg zurück ins Leben sucht, und er in „Superwelt“ auf eine Frau fokussierte, die in einen religiösen Wahn kippt, steht nun ein alter Mann im Mittelpunkt seines dritten Spielfilms. Wie bei „Atmen“ geht es um Schuld, doch diese liegt in diesem Fall lange zurück und wurde bisher verdrängt. Erst die Begegnung mit einem afghanischen Flüchtling bringt den 93-jährigen Heinrich Senft (Heinrich Trixner) langsam dazu sich seiner Vergangenheit zu stellen.


Der Tod von Senfts Hund führt den alten Mann und den jungen afghanischen Flüchtling Adib zusammen. Als der alte Mann nämlich das geliebte Tier im Garten begraben will, bricht der Stiel des Pickels und er muss im Baumarkt einen neuen kaufen. Auf dem Heimweg folgt ihm Adib und bittet ihn um Arbeit. Senft weist ihn zunächst ab, geht dann aber doch auf das Angebot ein, drückt aber den Stundenlohn von acht auf drei Euro.


Kein sympathischer Zeitgenosse ist dieser mürrische Mann, der in einem kleinen Haus in einer Wiener Schrebergartensiedlung lebt. Dass diese Siedlung „Zukunft“ heißt – eines der vielen Symbole in „Nobadi“ -, verweist auf den jungen Afghanen, der sie vielleicht noch hat, wenn ihm in Europa Chancen gegeben werden, während die Zukunft für Senft längst vorüber ist.


Fast ganz auf das kleine Haus und den Garten beschränkt sich die Handlung und spannt sich nur über einen Tag und eine Nacht. Getragen von einem großartigen Heinz Trixner und einem zurückhaltenden Borhanulddin Hassan Zadeh in seiner ersten Filmrolle entwickelt Markovics ein dichtes Kammerspiel, das von zunehmend schwarzem Humor durchzogen.


Blickt Senft zunächst misstrauisch auf Adib und versteckt sein Geld aus Angst bestohlen zu werden, so holt er ihn doch zurück, als er ihn nach Abschluss der Arbeit mit Fieber auf der Bank einer Bushaltestelle findet. Die Versorgung der Fußwunde des jungen Afghanen, der nicht ins Krankenhaus will, weil er fürchtet abgeschoben zu werden, weckt bei Senft dabei ebenso Erinnerungen an seine Zeit als Scherge der Nazis in einem Lager wie die Tätowierung Adibs und dessen Erzählung über das NATO-Lager, in dem er in Afghanistan war.


Markovics schließt so die verdrängte Schuld in der NS-Zeit mit heutigem Fehlverhalten der westlichen Staaten gegenüber den Flüchtlingen kurz. Mit Adibs Armtätowierung „Nobadi“ schlägt er den Bogen bis zu Homers „Odyssee“. Wie der griechische Held nämlich dem Zyklopen Polyphem durch die Verwendung des Namens „Niemand“ entkam, so entledigt sich die NATO in den Lagern in Afghanistan der Verantwortung gegenüber den einheimischen Hilfskräften, indem man ihnen Phantasienamen wie „Nobadi“, eine verballhornte Form von „Nobody“ gibt. Fragen dann Angehörige im Lager nach dem jungen Afghanen oder stirbt er, so kann man erklären, Nobadi, also Niemand, sei umgekommen.


Gleichzeitig lässt Senft ausgehend von seiner Erinnerung an einen jüdischen Lagerinsassen, der die ganze „Odyssee“ auswendig konnte, auch Adib auf dem provisorischen Krankenbett in seinem Haus von seiner Odyssee und dem Schicksal seiner Familie erzählen. Die erschütternde Schilderung Adibs korrespondiert dabei auf Bildebene mit der drastischen und blutigen Darstellung der Operation, die Senft durchführt. - Zartere Gemüter wird diese Szene sicher schockieren, aber das will Markovics zweifellos auch, will mit der Drastik die Tragik der Flüchtlingskrise bewusst machen.


In der eng geführten und kleinen Geschichte zeigt Markovics, wie Vergangenheit und Gegenwart, Europa und Afghanistan so ineinander verflochten sind wie die Wurzeln des Baumstrunks, der im Garten ausgegraben werden muss. Gleichzeitig ist das aber auch eine Metapher für die Verwurzelung Senfts in seiner Heimat und die Entwurzelung des Flüchtlings. Mit dieser Gartenarbeit dringt Senft aber auch zu seinen Wurzeln vor, während andererseits der längst gekappte Stamm auf die fehlende Zukunft verweist und die Wunde Adibs auf die aktuelle Flüchtlingskrise.


Läuft derzeit im Cinema Dornbirn und im Kino Rio in Feldkirch; Spielboden Dornbirn: 16.11. + 22.11.


Trailer zu "Nobadi"




bottom of page