top of page
  • AutorenbildWalter Gasperi

Night of the Kings - La nuit des rois


Harten Realismus und Magie mischt Philippe Lacôte in seinem zweiten Spielfilm, in dem er von Machtkämpfen im größten Gefängnis Westafrikas, aber auch und vor allem von der Macht des Wortes und von Geschichten erzählt. – Ein ungewöhnlicher, visuell aufregender und faszinierender Film.


Die Kamera fliegt lange über den dichten grünen Dschungel, ehe mit einem Schwenk nach oben der riesige Betonkomplex "Maison d´Arrêt et de Correction d´Abjan" (MACA) ins Bild kommt. Das etwas außerhalb von Abidjan, der ehemaligen Hauptstadt der Elfenbeinküste, mitten im Wald gelegene Gefängnis wird der einzige Schauplatz des zweiten Spielfilms des in Abidjan geborenen und aufgewachsenen Philippe Lacôte bleiben, nur Erzählungen werden immer wieder kurz aus dieser geschlossenen Welt hinausführen.


Inserts informieren, dass hier eigene Gesetze herrschen und ein Häftling als "Dangoro" regiere. Ist er dazu nicht mehr in der Lage, müsse er sich das Leben nehmen. Mit einem jungen Straßenkriminellen (Bakary Koné) werden die Zuschauer*innen in diese Welt eingeführt, lernen aber gleichzeitig die Spannungen unter den Häftling kennen. Denn der Dangoro Schwarzbart (Steve Tientcheu) ist sichtlich angeschlagen und auf ein Sauerstoffgerät angewiesen. Während die einen ihm gegenüber treu ergeben sind und hoffen zu seinem Nachfolger ernannt zu werden, planen andere den Sturz dieses Machthabers.


Spürbar gärt es somit, aber noch herrscht Schwarzbart und ernennt den Neuankömmling sogleich zum "Roman", zum Erzähler, der durch die ganze Nacht des Blutmonds Geschichten erzählen muss. Noch einmal will Schwarzbart damit für ein Spektakel sorgen. Versucht sich der Kleinkriminelle zunächst zu weigern, fügt er sich notgedrungen in die Rolle, als er erfährt, dass er getötet wird, sobald er aufhört zu erzählen.


Von den Geschichten von "Tausendundeiner Nacht", in denen Sheherazade dem König jeden Tag eine neue Geschichte erzählen muss, um der Hinrichtung zu entgehen, hat Lacôte offensichtlich dieses Motiv übernommen. Agiert der junge Erzähler dabei zunächst unsicher, so fabuliert er mit Fortdauer entschlossener und reißt die Zuhörer mit. In die Erzählung mischen sich dabei nicht nur Gesänge und tänzerische Nachstellungen des Geschilderten durch die Häftlinge, sondern Lacôte visualisiert das Erzählte auch immer wieder, führt in das Elendsviertel "Ohne Gesetz", aber auch in vergangene Zeiten.


Im Zentrum der Erzählung des Jungen steht dabei der Kriminelle Zama, dessen Gang er selbst angehörte. Weil er gleich am Beginn von dessen Tod erzählt, muss er in der Folge, um Zeit zu gewinnen, weiter zurückgreifen, von Zamas Kindheit und dessen Vater erzählen. Nicht nur 20 Jahre, sondern in mythische Zeiten scheint die Erzählung dabei zurückzuführen, wenn Zamas Vater als Berater einer Königin an einem Krieg teilnimmt, der mit magischen Kräften geführt wird.


Diesem Archaischen steht aber wieder die historische Realität gegenüber, wenn Zama als junger Erwachsener bei den Rebellen gegen Präsident Laurent Gbagbo kämpft und TV-Bilder die Authentizität des Erzählten bekräftigen. Gleichzeitig spitzt sich der Machtkampf im Gefängnis zu, während Gefängnisdirektor und Aufseher sich förmlich in ihrem Büro verschanzen und mehr eingesperrt wirken als die Häftlinge.


Mit einer ständig bewegten Kamera versetzt Lacôte die Zuschauer*innen mitten hinein in dieses explosive Milieu und evoziert durch das authentische Setting eine dichte Atmosphäre. Auch das unverbrauchte Ensemble trägt mit natürlichem Spiel zur Dichte dieses Films bei, der weniger ein Gefängnisdrama als vielmehr ein Film über die Macht von Geschichten ist.


Denn mit diesen Erzählungen, mit denen Lacôte auch die afrikanische Erzähltradition der Griots feiert, hält der junge Kriminelle nicht nur sein Publikum bei Laune, sondern verlängert auch sein Leben. Durchhalten muss er freilich, bis der Blutmond untergegangen ist und der nächste Tag anbricht, denn zunehmend regt sich auch Widerstand, dass er allzu ausufernd erzähle und nur Zeit schinde.


Inhaltlich lässt sich "Night of the Kings" mit seinen unterschiedlichen Ebenen kaum auf einen Nenner bringen. Höchst diffus bleib beispielsweise der politische Aspekt mit der Absetzung von Präsident Laurent Gbagbo und dem Kampf der Rebellen, auch aus dem Blick ins Elendsviertel "Ohne Gesetz" entwickelt Lacôte keine Sozialkritik und auch kein realistisches Bild des Gefängnisalltags wird gezeichnet. – Alles spielt hier einzig dem großen und zentralen Thema der Macht und der Kraft des Erzählens zu, die Lacôte intensiv und mitreißend beschwört.


Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino in Schaan.


Trailer zu "Night of the Kings - La nuit des rois"


bottom of page