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My Sunshine

Autorenbild: Walter GasperiWalter Gasperi
"My Sunshine": Beglückendes filmisches Kleinod von Hiroshi Okuyama
"My Sunshine": Beglückendes filmisches Kleinod von Hiroshi Okuyama

Wie hingetupft wirkt Hiroshi Okuyamas zweiter Spielfilm, in dem sich zwei Teenager und ihr Eiskunstlauftrainer langsam näherkommen: Eine wunderbar sanfte, betörend gefilmte Coming-of-Age-Geschichte – und vieles mehr.


Magie entfaltet der zweite Spielfilm des 29-jährigen Japaners Hiroshi Okuyama, der auch für Drehbuch, Kamera und Schnitt verantwortlich zeichnet, schon in der ersten Szene, wenn der etwa 14-jährige Takuya (Keitatsu Koshiyama) beim Baseballspiel nicht mehr auf den Ball achtet, sondern nur noch Augen für die ersten Schneeflocken des kommenden Winters hat.


Bezaubernde Wirkung entwickelt der mit einer kleinen Blackmagic Pocket Cinema Camera 4K im engen 4:3-Format gedrehte Film durch die Bilder, die leicht unscharf sind und vielfach wirken, als ob sie in leichten Dunst oder in einen milchigen Schleier getaucht sind. Die sanften Pastellfarben verleihen nicht nur der Abfolge der statischen Ansichten der verschneiten Küstenstadt ihren ganz eigenen Reiz, sondern dem gesamten Film.


Wie auf dem Baseballfeld steht Takuya auch im Eishockeytor ziemlich daneben. Auch dass er stottert macht den introvertierten Jungen zu einem Außenseiter, der bei seinen Mitschülern kaum Anschluss findet. Gebannt blickt er dafür in der Eishalle auf die etwa gleich alte Sakura (Kiara Nakanishi), die als Eiskunstläuferin ihre Runden und Pirouetten dreht.


Zu einem Film über Blicke wird "My Sunshine" hier. Denn wie Takuya mit seinen Blicken Sakura verfolgt, so beobachtet bald deren Trainer Arakawa (Sōsuke Ikematsu) den Jungen bei seinen ersten Versuchen im Eiskunstlauf, während wir als Zuschauer:innen wiederum Arakawa beobachten.


Nicht nur hier spielt Okuyama mit Blicken, sondern immer wieder wird der Trainer, der bald auch Takuya unter seine Fittiche nimmt und trainiert, seine Schützlinge auf dem Eis beobachten. Aber um den Blick geht es auch, wenn Arakawa bei einer Tankstelle seinen Freund und dessen Chef durch den Seitenspiegel und später Sakura Arakawa und seinen Freund im Wagen beobachtet.


An "Billy Elliot", in dem ein britischer Junge tanzen statt boxen will, erinnert die Geschichte eines Jungen, der sich vom männlich konnotierten Eishockey ab- und dem weiblich besetzten Eiskunstlauf zuwendet. Doch während bei "Billy Elliot" der Protagonist auf heftigen Widerstand seines Vaters stößt, zeigen sich die Eltern Takuyas offen und bestärken ihren Sohn darin, das zu machen, was ihm gefällt und Spaß bereitet.


Führen Takuya, Sakura und Arakawa zunächst getrennte Leben, so werden sie zunehmend zusammengeführt. Denn trainiert Arakawa Takuya zunächst allein, spannt er den Jungen, der bei dem ehemaligen Eiskunstläufer Erinnerungen an seine eigene Karriere weckt, bald mit Sakura zusammen, um sie zu einem Eistanz-Paar zu machen. Reagiert das ehrgeizige Mädchen, das in dem Anfänger nur einen Klotz am Bein sieht, zunächst abweisend, kommt sich das Trio doch langsam näher.


Dominieren zunächst lange ruhige Einstellungen, so beginnt die Kamera nun mit den Eistänzern durch die Halle zu tanzen. Spürbar werden hier die Befreiung und das Glück, die mit einem Ausflug an einen zugefrorenen See ihren Höhepunkt erreichen.


Kritik am japanischen Leistungs- und Wettbewerbsdenken kann man aus dieser Coming-of-Age-Geschichte herauslesen, wenn dem Ehrgeiz von Sakura und ihrer Mutter Arakawas und Takuyas pure Freude an der Bewegung und an der wachsenden Freundschaft gegenübersteht. Doch Okuyama forciert eben nichts, beschränkt sich darauf sehr sanft, leise und zurückhaltend zu erzählen. Mehr angetippt als ausformuliert werden so auch nur Themen wie Geschlechterrollen, Außenseitertum und Konservativismus, dennoch zeigt "My Sunshine" bewegend, wie durch Vorurteile Beziehungen wieder zerbrechen können.


Nichts Spektakuläres passiert hier. Auf jeden lauten Ton und dramatische Zuspitzungen verzichtet der junge japanische Regisseur. Nah am Sentimentalen und am Kitsch mag sein Film zwar sein, entgeht aber mühelos diesen Gefahren durch seine Feinfühligkeit und die bezaubernde Poesie, die "My Sunshine" durch die betörende Einbettung in die winterliche Küstenstadt entwickelt.


Beglückend ist es zuzusehen, wie hier vom Glück des Augenblicks, aber auch von dessen Flüchtigkeit erzählt wird. Bittersüß wird es, wenn mit dem Schmelzen des Schnees und dem Anbrechen eines neuen Frühlings die Protagonist:innen wieder ihre eigenen Wege gehen – und doch lässt das offene Ende hoffen, dass Takuya im Laufe dieses Winters und dieser Erfahrungen innerlich gewachsen ist und die Kraft entwickelt hat, seine Gefühle zu äußern.

   

 

My Sunshine

Japan / Frankreich 2024 Regie: Hiroshi Okuyama  mit: Keitatsu Koshiyama, Kiara Nakanishi, Sōsuke Ikematsu, Ryūya Wakaba, Maho Yamada Länge: 100 min.



Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen.



Trailer zu "My Sunshine"


 

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