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  • AutorenbildWalter Gasperi

My Sunny Maad


Aus der Perspektive einer jungen Tschechin, die die Liebe ins Kabul der Post-Taliban-Zeit führt, zeichnet Michaela Pavlátová in ihrem Animationsfilm nicht nur ein vielschichtiges Bild der afghanischen Gesellschaft zwischen Toleranz und Fundamentalismus, Unterdrückung der Frau und Befreiungsversuchen, sondern deckt auch die fehlende Sensibilität des Westens auf.


Mit dem Voice-over der jungen Tschechin Helena, die in Kabul als Außenseiterin mit ihren blonden Haaren in einer afghanischen Familie sitzt, schwört Michaela Pavlátová die Zuschauer*innen auf die Erzählperspektive ein. Verstärkt wird diese durch eine Rückblende, in der Helena erzählt, wie sie sich in Prag als Studentin der Wirtschaftswissenschaften verloren fühlte, bis Nazir in den Hörsaal trat.


Wenn die grauen Bilder damit durch warme Gelbtöne abgelöst werden, wird spürbar, wie hier für die junge Frau quasi die Sonne aufging und auf den ersten Blick Liebe ausbrach. Auch von den Warnungen ihrer Bekannten und Freunde ließ sich Helena nicht zurückhalten, flog wenige Wochen später mit Nazir nach Kabul und heiratete ihn. Die Herrschaft der Taliban ist vorüber und zeitlich verankert ist die Handlung durch Nachrichten von der Ermordung Osama Bin-Ladens im Jahr 2011, aber das Leben ist für die Europäerin, die sich nun Herra nennt, in der afghanischen Hauptstadt dennoch alles andere als einfach.


Schwer zu schlucken hat Nazir sichtlich daran, dass seine Frau keine Jungfrau mehr war, doch dies vertuscht er aus Liebe. Herra wiederum hat Probleme damit, dass sie nur verschleiert das Haus verlassen darf, und dass die Frauen bei Männerbesuch weggesperrt werden. Aber auch ihre Unfruchtbarkeit belastet sie. Ersatz soll sie im kleinen Mohammed alias Maad finden, der wegen seines deformierten Kopfes von seiner Mutter verstoßen wurde.


Die Großfamilie nützt Pavlatova, um einen differenzierten Einblick in die afghanische Gesellschaft zu bieten. Aber auch die Zerrissenheit dieser Welt wird sichtbar, wenn einerseits die Frauen sich verschleiern müssen, andererseits in den Häusern gierig "Basic Instinct" per Video-Kassette geglotzt wird.


Spürbar wird die Sehnsucht nach einem befreiten Leben, wenn die junge Roshganal für einmal ihren Schleier entfernt und ihr prächtiges langes Lockenhaar präsentiert oder wenn sie in einer Traumsequenz auf einem Skateboard durch die Gegend flitzt. Aber auch das Spannungsfeld zwischen den Einheimischen und dem Westen kommt mit einem Job Nazirs als Fahrer bei den US-Truppen und Herras bei amerikanischen Gynäkologen ins Spiel.


Pavlátovás Blick ist dabei immer zutiefst humanistisch. Sie steht auf Seiten der Schwachen und Hilflosen, zeigt unverhohlen ihre Ablehnung gegenüber den Mächtigen und der Unterdrückung und lässt auch im engen Raum der Großfamilie unterschiedliche Positionen aufeinandertreffen.


Vertreter der Toleranz ist der Großvater, der einst Fotograf war. Menschlichkeit bestimmt sein Reden und Handeln. Sein Schwiegersohn spielt sich dagegen als Patriarch auf, der seine älteste Tochter verheiraten möchte. Innerlich zerrissen ist dagegen Herras Mann Nazir, der einerseits seine Frau liebt, sie andererseits immer wieder einschränkt, da er Angst hat, sein Gesicht in der afghanischen Gesellschaft zu verlieren.


In der differenzierten Ausleuchtung der afghanischen Gesellschaft spürt man, dass die Journalistin und Kriegsreporterin Petra Procházkova, auf deren Roman "Freshta", "My Sunny Maad" beruht, die Verhältnisse genau kennt. Plastisch wird die zentrale Rolle von öffentlicher Ehre und Angst vor Demütigung herausgearbeitet, die das Agieren der Männer bestimmt.

Aber auch die USA und der Westen insgesamt bekommen ihr Fett ab, wenn Soldaten ebenso wie humanitäres Personal jedes Einfühlungsvermögen ins afghanische Denken vermissen lassen und bedenkenlos westliche Vorstellungen auf diese Welt übertragen. Ohne dies grob zu betonen, wird klar, dass damit der Boden für neuen Fundamentalismus und ein neuerliches Erstarken der Taliban bereitet wird.


Von der Animation her ist das einfach, aber stimmig gehalten. Leichter als im Realfilm kann durch Animation die Handlung verkürzt und verdichtet und zentrale Punkte prägnant auf den Punkt gebracht werden, ohne dass diese Momente plump oder holzschnittartig wirken. So setzt Pavlatova nicht auf Show und Effekte, sondern vertraut auf die Geschichte und ihre Figuren.


Gerade durch den Verzicht auf Schauwerte und Action lenkt Pavlatova den Blick auf die Menschen und macht nicht nur die Unterdrückung der Frau, sondern auch die vielfältigen Ambivalenzen eindrücklich sichtbar. Dass trotz ernster und trauriger Momente "My sunny Maad" insgesamt auch dank der sanften und poetischen Erzählweise und einem Gespür für feinen Humor Leichtigkeit bewahrt, gehört zu den weiteren Qualitäten dieses eindrücklichen Animationsfilms.


My Sunny Maad Tschechien / Frankreich / Slowakei 2021 Regie: Michaela Pavlátová Animationsfilm Länge: 85 min.


Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen


Trailer zu "My Sunny Maad"



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