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  • AutorenbildWalter Gasperi

Mrs. Harris Goes to Paris - Mrs. Harris und ein Kleid von Dior


In den spätem 1950er Jahren bricht eine britische Putzfrau nach Paris auf, um ein Kleid von Dior zu kaufen: Zuckersüßes Retro-Modemärchen, in dem die Protagonistin mit ihrer Herzensgüte alle, die ihr begegnen, verzaubert.


Schon 1982 wurde Paul Galicos 1958 erschienener Roman "Mrs. Harris Goes to Paris" mit Inge Meysel unter dem Titel "Ein Kleid von Dior" fürs Fernsehen verfilmt, zehn Jahre später folgte eine zweite TV-Fassung mit Angela Lansbury in der Titelrolle. Nun hat sich der Brite Anthony Fabian des Stoffes angenommen, dem sein Retro-Charakter schon durch die Situierung der Handlung im Jahr 1957 eingeschrieben ist.


Doch "Mrs. Harris und ein Kleid von Dior" spielt nicht nur in den 1950er Jahren, sondern sieht auch aus wie ein Film aus dieser Zeit. Wenn die Protagonistin auf dem Beifahrersitz einer Vespa durch Paris gefahren wird, fühlt man sich unweigerlich an William Wylers "Roman Holiday – Ein Herz und eine Krone" erinnert, in dem Gregory Peck Audrey Hepburn Rom zeigte. Was dort aber frisch und lebendig wirkt, atmet hier doch eine gewisse Künstlichkeit.


Von Eiffelturm über Arc de Triomphe bis zum Sacré-Coeur am Montmartre werden so auch die Sehenswürdigkeiten der französischen Hauptstadt ins Bild gerückt und weder ein Spaziergang an der nächtlichen Seine noch ein Besuch in einem Varieté mit spärlich bekleideten, tanzenden Frauen darf fehlen.


Ermöglicht hat diese Reise nach Paris der Londoner Putzfrau erst ein Lottogewinn, nachdem ein Blick auf ein Kleid von Dior bei einer ihrer adeligen Kundschaften den Wunsch geweckt hat, selbst so eine edle Robe zu erwerben. Lesley Manville, die durch Rollen in Filmen Mike Leighs bekannt wurde, ist zweifellos eine Idealbesetzung dieser Titelfigur. Sie vermittelt die Herzensgüte von Mrs. Harris ebenso überzeugend wie ihre Hartnäckigkeit, wenn sie etwas erreichen will.


Während der originale Titel "Mrs. Harris Goes to Paris" dabei die Fahrt nach Frankreich ins Zentrum rückt, streicht der deutsche Titel mit "… ein Kleid von Dior" schon eine andere Stoßrichtung heraus: Von Anfang an wird hier das Haute Couture-Unternehmen ins Zentrum gerückt. Mehr noch als die Sehenswürdigkeiten von Paris wird so auch die edle Kollektion vorgeführt, deren Eleganz und Exklusivität herausgestrichen.


Detailreiche Ausstattung, warme Farben und aufgeräumte Bilder steigern diese Feier des Schönen und des "savoir vivre". Ausgesperrt bleibt freilich weitgehend jede soziale Realität von den harten Arbeitsbedingungen in der Haute Couture bis zu den Demütigungen als Putzfrau.


In scharfem Kontrast zu dieser Hochglanzwelt steht zwar nicht nur die einfache britische Putzfrau, sondern auch der Müll, der sich auf den Straßen der Seine-Metropole aufgrund eines Streiks der Müllabfuhr häuft. Doch auch dieses Problem und die Proteste auf den Straßen wirken schöngefärbt und dienen vor allem dazu die Ehefrau des Müll-Unternehmers mit der Handlung zu verknüpfen. Denn diese arrogante Dame will Mrs. Harris ihr Wunschkleid wegschnappen.


Stärkere Reibung ergibt sich durch die verbitterte Assistentin des Firmenchefs, die ganz im Gegensatz zur Belegschaft des Modeunternehmens kein Verständnis für die einfache Britin zeigt und sie für völlig deplatziert in dieser mondänen Welt hält. – Mit sichtlichem Vergnügen spielt Isabelle Huppert diese Bissgurke, bei der Mrs. Harris auf Granit zu beissen scheint. Dennoch soll für die unerwünschte Kundin ein maßangefertigtes Kleid geschneidert werden, denn es gelingt ihr mit ihrer Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Selbstlosigkeit auf Anhieb sowohl den Chefbuchhalter (Lucas Bravo) als auch das Top-Model und Gesichts Diors (Alba Baptista) für sich zu gewinnen.


Mrs. Harris wiederum wird sich dafür revanchieren. Sie versucht nämlich nicht nur eine Beziehung zwischen dem Chefbuchhalter und dem Top-Model, die die Begeisterung für Jean-Paul Sartre und den Existentialismus verbindet, einzufädeln, sondern gibt mit ihrer kämpferisch-britischen Art auch den Anstoß zur geschäftlichen Neuorientierung des wirtschaftlich schwer angeschlagenen Unternehmens.


Herz dieses Mode-Märchens ist Lesley Manville. Ihr zuzusehen bereitet Vergnügen und mühelos erobert sie mit ihrer Unbekümmertheit und Offenheit auch das Herz der Zuschauer*innen. Doch deutlich zu viel des Guten ist insgesamt, wie diese Putzfrau mit Leichtigkeit alle Probleme überwindet, Liebesbeziehungen einfädelt und auch noch Dior rettet.


Märchen haben durchaus ihre Berechtigung und können auch heute noch gelingen. Doch hier wird der Zuckerguss mit dem ständigen Wohlgefühl, das auch durch die visuelle Gestaltung verbreitet werden soll, deutlich zu dick aufgetragen: So trübt die Überdosis an Gutmenschentum und Herzensgüte auf Dauer das Vergnügen nicht unwesentlich.


Mrs. Harris und ein Kleid von Dior – Mrs. Harris Goes to Paris Großbritannien / Frankreich / Ungarn / USA 2022 Regie: Anthony Fabian mit: Lesley Manville, Isabelle Huppert, Lambert Wilson, Alba Baptista, Lucas Bravo, Ellen Thomas, Rose Williams, Jason Isaacs Länge: 116 min.


Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Cinema Dornbirn (Deutsche Fassung) und im Skino Schaan (O.m.U.)


Trailer zu "Mrs Harris Goes to Paris - Mrs. Harris und ein Kleid von Dior"




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