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  • AutorenbildWalter Gasperi

Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen


Eine Theaterregisseurin will die Beteiligung der Rumänen am Holocaust als Performance nachstellen. Rasch stößt ihr Projekt aber auf Widerstand. Radu Judes von bissigem Witz durchzogene, vielschichtige Reflexion über grausame Realität, nationale Geschichtsbilder und ungebrochenen Antisemitismus ist bei absolut Medien auf DVD erschienen.


Auf einem Bildschirm läuft eine schwarzweiße Wochenschau von der angeblich glorreichen Befreiung Odessas von der sowjetischen Herrschaft durch rumänische und deutsche Truppen im Jahr 1941. Direkt in die Kamera stellt sich anschließend die Schauspielerin Iona Jacob vor, erklärt, dass sie die Theaterregisseurin Mariana Marin spielen werde.


Durchbrochen wird mit diesem Auftakt der Illusionscharakter des Films, wird bewusst gemacht, dass der Zuschauer einer Inszenierung beiwohnt. Sind dabei zunächst noch Mikrofonbalken im Bild sichtbar, so taucht Radu Jude bald ganz in die Vorbereitung und Proben der Theaterperformance ein, mit der erinnert werden soll, dass die rumänische Armee unter General Ion Antonescu nach der Einnahme Odessas 25.000 Juden und insgesamt zwischen 1941 und 1944 rund 300.000 Juden ermordete.


Dreh- und Angelpunkt des Films ist dabei die Theaterregisseurin. In ihrem Besuch des Bukarester Militärmuseums mit langer Kamerafahrt vorbei an Uniformen und Gewehren oder bei ihrer Sichtung eines 1993 entstandenen glorifizierenden Spielfilms über Ion Antonescu ("Oglinda") wird deutlich, wie das offizielle Rumänen seine Rolle während des Zweiten Weltkriegs sieht - oder zumindest bis in die frühen 2000er Jahre sah.


Gebrochen wird dieses Bild dadurch, dass die Protagonistin diese Bilder mit Textpassagen kontrastiert, in denen vom Massenmord an Juden berichtet wird, darauf hinweist, dass Hitler Ion Antonescu als Vorbild hinsichtlich des radikalen Umgangs mit den Juden bezeichnete, oder die Kamera lange auf Fotos von einem Massaker oder gehenkten Juden verweilt.


Wie gleichzeitig später in Passagen aus Werken von rumänischen Schriftstellern deutlich wird, dass der Antisemitismus schon lange vor der Zeit des Zweiten Weltkriegs in Rumänien grassierte, so tritt in den Proben und schließlich in der Aufführung dessen Fortleben zutage. Jedes Einfühlungsvermögen in den Massenmord lassen hier Komparsen, die Opfer spielen sollen, vermissen, während andererseits die Zuschauer bei der Vorführung begeistert applaudieren, als Juden in einer Baracke zusammengepfercht und verbrannt werden.


Nicht nur den Schauspielern passt aber die schonungslose Aufarbeitung und Dekonstruktion des rumänischen Geschichtsbilds nicht, sondern auch ein Beamter der Stadt schaltet sich ein, versucht die Regisseurin von ihrem Projekt abzubringen, während die Vizebürgermeisterin in ihrer Rede vor der Aufführung wiederum die rumänischen Soldaten als Verteidiger der Heimat feiert.


Brillant führt Jude so nicht nur offizielle Geschichtsbilder vor, sondern zeigt, dass diese ständig aufs Neue hinterfragt und dekonstruiert werden müssen. Gleichzeitig fragt diese Tragikomödie aber auch nach den Möglichkeiten politischer Kunst und kritisiert den Druck und die Zensur von öffentlichen Stellen.


Trotz der Fülle von Archivmaterial wie Texten und Filmen wird dieser Film, dessen Titel einer Rede des rumänischen Politikers Mihai Antonescu entnommen ist, nie kopflastig, sondern bleibt nicht zuletzt dank des bissigen Witzes leicht und bietet vielschichtiges Kino, das nicht nur zum Nachdenken anregt, sondern auch unterhält.


An Sprachversionen bietet die bei absolut Medien erschienene DVD die rumänische und die deutsche Fassung sowie deutsche Untertitel. Extras gibt es keine.

Trailer zu "Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen"



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