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AutorenbildWalter Gasperi

Milla Meets Moses - Babyteeth

Aktualisiert: 15. März 2021


Ein todkranker Teenager, ein obdachloser Drogensüchtiger und die erste Liebe. – Die Ausgangssituation von Shannon Murphys Spielfilmdebüt ist nicht gerade neu, doch die Australierin macht daraus einen umwerfenden, leidenschaftlichen und lebensbejahenden Film.


Filme über todkranke Teenager, die trotz oder gerade wegen des Wissens um das nahe Ende ihr kurzes Leben noch auskosten wollen, gab es in den letzten Jahren einige. Erinnert sei nur an die John Greene-Verfilmung "Das Schicksal ist ein mieser Verräter", "Und morgen Mittag bin ich tot" oder "Beim Leben meiner Schwester". Shannon Murphys Langfilmdebüt "Milla Meets Moses" hat mit diesen Dramen aber fast nur die Ausgangssituation gemein.


Schon die erste Szene haut nicht nur die Protagonistin, sondern auch den Zuschauer beinahe um und zieht ihn sofort voll in den Film hinein: An einem Bahnhof deutet der Blick der 16-jährigen Milla (Eliza Scanlen) an, dass sie daran denkt, sich vor einen fahrenden Zug zu werfen, doch bevor es dazu kommt, rempelt sie der sieben Jahre ältere Moses (Toby Wallace) heftig an und wirft sich fast selbst vor den einfahrenden Zug.


Gegensätzlicher könnten die beiden kaum sein, denn sie trägt eine adrette Schuluniform, er dagegen wirkt verdreckt, ist tätowiert und hat sich den Kopf kahlgeschoren. Doch gerade, weil Moses so unbekümmert lebt, keinen fixen Job hat und aus der Wohnung wegen Mietrückstand rausgeflogen ist, scheint die aus gutbürgerlichem Haus stammende Milla sich für ihn zu interessieren.


Sie lädt ihn zum Abendessen mit ihren Eltern ein, die sie mit ihrer Überfürsorge und ständiger Traurigkeit wegen ihrer Krebserkrankung fast ersticken. Diese lehnen Moses zwar ab, erkennen durch ihn aber zunehmend, dass sie in Milla nicht nur die kranke Tochter sehen dürfen, sondern auch einen Teenager, der sein Leben genießen will.


So bekannt die Geschichte klingt, so unkonventionell, frisch und lebensbejahend ist die Inszenierung. Von Anfang an baut Murphy mit der nah geführten und sich immer unruhig bewegenden Kamera von Andrew Commis sowie einem energischen Schnitt eine fiebrige Intensität auf, durch die die Lust nach Leben förmlich nach außen gekehrt wird. Unterstützt wird dies - zumal in der ersten Hälfte - entscheidend durch knallige Farben und kräftige Musik. Hier wird keine triste Krankheitsgeschichte erzählt, sondern mit Verve, Lust und frechem, schwarzem Humor das Leben und die Schönheit des Augenblicks gefeiert.


Auch die klassischen Kausalketten, die das Erzählkino bestimmen, durchbricht Murphy. Statt zwingend eine Geschichte zu erzählen, reiht die Australierin vielmehr kurze Szenen aneinander, die mehr angerissen als ausformuliert werden. Unverfälscht und echt wirken diese Vignetten, die immer wieder von bunten Inserts eingeleitet werden, und verleihen "Milla Meets Moses" eine Intensität der Gefühle, die an die Filme von John Cassavetes erinnert.


Dazu tragen auch die wunderbar natürlich und mit großer Leidenschaft agierenden Hauptdarstellerinnen bei. Eine Wucht ist Toby Wallace als Herumtreiber, der zunehmend tiefere Gefühle für Milla entwickelt, bewegend vermittelt Eliza Scanlen, wie sich Milla danach sehnt das Leben auszukosten und die Krankheit so gut es geht verdrängt.


Auf lange Szenen einer Chemotherapie und die Schilderung des körperlichen Verfalls wird verzichtet. Teilweise wird das Schreckliche in die Inserts verbannt oder aber auf die Entdeckung eines – für den Zuschauer unsichtbar bleibenden - neuen Knotens unter der Achsel reduziert. Gerade durch die Reduktion auf solche Details, zu denen auch ein Anfall von Übelkeit gehört, erinnert Murphy immer wieder an die Schwere der Krankheit, lässt sie aber wie im Leben Millas auch im Film nie Überhand gewinnen.


Ganz auf Moses, Milla und ihre Eltern konzentriert sich Murphy. Differenziert arbeitet die Debütantin, deren Film man nie anmerkt, dass er auf einem Theaterstück beruht, heraus, wie unterschiedlich sie mit Millas Krankheit umgehen und macht intensiv auch die Belastung der Eltern spürbar. Nur mit zahlreichen Pillen übersteht so Mutter Anna (Essie Davies), die einst Pianistin war, die Tage und reagiert immer wieder panisch, wenn sie nicht weiß, wo ihre Tochter gerade steckt. Vater Henry (Ben Mendelsohn) dagegen, der Psychiater ist, lässt sich nach außen nichts anmerken und scheint die Verzweiflung still in sich hineinzufressen.


Indem Murphy permanent Gegensätze aufeinanderprallen lässt und beispielsweise sich hinter dem Insert "Ein wunderschöner Morgen" auch zutiefst Tragisches verstecken kann, stürzt sie den Zuschauer in diesem bittersüßen Teenagerdrama in ein Wechselbad der Gefühle, bei dem es einem das Herz zerreißen kann, das aber trotz allem die Einzigartigkeit und Kostbarkeit des Lebens feiert und einem mit jeder Szene ein leidenschaftliches "Carpe diem!" zuruft.


Wird am 19.5. im Rahmen der LeinwandLounge in der Remise Bludenz gezeigt


Trailer zu "Milla Meets Moses - Babyteeth"



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