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  • AutorenbildWalter Gasperi

Menus plaisirs – Les Troisgros

Frederick Wiseman porträtiert in seinem Dokumentarfilm in klassischem Direct Cinema-Stil das französische Landrestaurant Les Troisgros, das seit 53 Jahren ununterbrochen mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet wird: Ein vier Stunden langes, exquisites und Appetit anregendes Filmerlebnis.


In Frankreich gilt das "Maison Troisgros", das sich in der Nähe des etwa 70 Kilometer nordwestlich von Lyon gelegenen Roanne befindet, als Institution. Seit 1930 und seit vier Generationen ist es in Familienbesitz, seit 53 Jahren erhielt es ununterbrochen drei Michelin-Sterne.


Frederick Wiseman lud während eines Frankreich-Aufenthalts im Jahr 2020 seine Gastgeber in dieses Landgasthaus ein. Begeistert vom Essen fragte er nach dem mehrgängigen Menü den Chef César Troisgros, ob er sich vorstellen könnte, dass sein Restaurant in einem Dokumentarfilm porträtiert wird.


Nach kurzer Überlegung sagte der Gastronom zu und zwei Jahre später kehrte der damals 92-jährige Wiseman zurück, um das Projekt in die Tat umzusetzen. Unverkennbar ist dabei der Stil dieses Großmeisters des Direct Cinema, der in seiner 55-jährigen Karriere immer wieder Institutionen porträtierte und mit "La Comédie-Française ou L'amour joué" (1996), "La Danse – Le Ballet de l´Opera de Paris" (2009) und "Crazy Horse" (2011) auch schon drei große Filme in Frankreich drehte.


Auf jeden Kommentar wird ebenso verzichtet wie auf Interviews und Filmmusik. Wiseman vertraut ganz auf die geduldige Beobachtung, gestaltet aber seine Filme, die er selbst nicht als Dokumentarfilme ansieht, dennoch sehr stark vor allem durch die Montage, für die er jeweils selbst verantwortlich zeichnet und für die er sich viel Zeit nimmt. Wer tiefer in das Schaffen dieses Meisterregisseurs eintauchen will, dem sei das von Hannes Brühwiler herausgegebene Buch "Frederick Wiseman – Das Schauspiel der Gesellschaft" empfohlen, das in 17 Aufsätzen einen vielschichten Einblick in das Schaffen des Amerikaners bietet.


Doch nicht nur auf Kommentar, sondern auch auf Inserts zu Personen verzichtet Wiseman und lässt seinen Film unvermittelt mit einer Szene auf dem Markt von Roanne einsetzen. Erst später wird klar, dass es sich bei den beiden Männern, die Kräuter, Gemüse und Pilze prüfen und das eine oder andere kaufen, um die Restaurant-Chefs César und Léo Troisgros handelt.

Durch die Nähe der Kamera zu den Personen zieht Wiseman aber das Publikum schon bei diesem Auftakt in den Film hinein, während er andererseits mit kurzen Schnitten auf Tomaten, Karfiol und andere Gemüsesorten den Appetit anregt.


Wie überlegt "Menüs plaisirs" aufgebaut ist, zeigt sich schon, wenn auf diesen eher schnell geschnittenen Auftakt, eine in einer minutenlangen statischen Halbtotalen gefilmte Szene folgt, in der der Senior-Chef Michel Troisgros und sein Sohn César ein Menü durchbesprechen.


Dieser Wechsel von Szenen mit kurzen Einstellungen und langen ungeschnittenen Momenten bestimmt ebenso diesen Dokumentarfilm wie der Wechsel von dialoglastigen Szenen und solchen, die nahezu wortlos ablaufen. Strukturiert wird "Menus plaisirs" dabei durch Landschaftstotalen, die einerseits die Szenen voneinander trennen, andererseits neben dem kulinarischen Genuss auch für optischen und für Momente zum Durchatmen sorgen.


Zu den großen Stärken von Wiseman gehört zweifellos sein geduldiger Blick. Ausführlich zeigt er, wie im Landgasthaus Troisgros die Zutaten zubereitet werden, wie über die Zusammensetzung des Menüs diskutiert wird und auch darauf geachtet wird, dass die Speisen das Auge erfreuen.


Aber nicht nur in die Küche blickt die Kamera von James Bishop, sondern auch in den Speisesaal, in dem das Servicepersonal geradezu pingelig darauf achtet, dass der Tisch perfekt gedeckt und die Stühle exakt aufgestellt sind. Hier wird den Gästen nicht nur jeder Gang und der dazu passende Wein erklärt, sondern auch auf jeden Wunsch wird Rücksicht genommen, sei es dass jemand bestimmte Speisen nicht mag, Vegetarier ist oder an einer Allergie leidet.


Hier ist der Gast tatsächlich der König, einzig für eine Allergie gegen die Rechnung, die ein Besucher im Scherz anführt, dürfte man wenig Verständnis haben. Denn um die 300 bis 500 Euro scheint man hier schon für ein Menü hinlegen zu müssen und eine Flasche Wein scheint auch mal 5000 Euro zu kosten. Der Preis von 15.000 bis 20.000 Euro, der dafür auch einmal veranschlagt wird, scheint aber selbst Michel Troisgros zu hoch.


Doch nicht nur im Haus verweilt der Film, sondern begleitet Michel und César auch zu einem Bauern, der auf biologische Viehzucht setzt und die Bedeutung des Bodens ebenso betont wie ein Weinbauer. Aber auch ein Bauernhof mit Ziegenzucht und ein Käsekeller, in dem ausführlich über die richtige Lagerung informiert wird, wird besucht und dazu sammelt das Personal im weitläufigen Garten des Restaurants Holunder und Kräuter.


Ein Kontrast zu diesem Luxus-Restaurant wird mit dem zweiten Gasthaus, das die Familie betreibt, aufgebaut. Denn in dem von Léo Troisgros geleiteten "La Colline du Colombier" geht es im Speisesaal doch etwas entspannter zu und auch die Küche unterscheidet sich deutlich von der im "Troisgros". Überraschend kommt dazu aber auch noch im Zentrum von Roanne ein Straßenverkauf, der offensichtlich sehr beliebt ist, steht doch eine lange Schlange an.


Wiseman beschränkt sich auf die vielfältigen Arbeitsprozesse, vermittelt einen intensiven Eindruck von der Präzision, mit der hier gearbeitet wird, und dem Aufwand, der betrieben wird, um Perfektion zu erreichen, ebenso wie vom Druck, unter dem nicht nur das Personal, sondern auch die Chefs stehen.


Die Geschichte der Familie und des Hauses kommt dagegen erst am Ende ins Spiel, wenn Michel Troisgros, der immer auch an die Tische der Gäste kommt und mit ihnen Gespräche führt, einem Paar darüber erzählt. Dann klärt sich auch, was es mit dem beim Bahnhof von Roanne gelegenen Restaurant "Le central" auf sich hat, das schon bei der Marktszene am Beginn auffallend lange ins Bild gerückt wurde.

 

Menus Plaisirs – Les Troisgros USA / Frankreich 2023 Regie: Frederick Wiseman Dokumentarfilm mit: Michel Troisgros, César Troisgros, Léo Troisgros, Lisa Troisgros Länge: 240 min.



Läuft am 29.3. um 10.30 Uhr im Kinok St. Gallen.



Trailer zu "Menus plaisirs - Les Troisgros"




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