Die Goldene Palme von Cannes für "Das weiße Band" und "Liebe" sowie der Oscar für "Liebe" sind nur die Spitze der zahlreichen Preise die der 1942 in München geborene Michael Haneke mit seinen eisig-kalten, aber messerscharfen Filmen gewonnen hat. - Am 23. März feiert der österreichische Meisterregisseur seinen 80. Geburtstag. Aus diesem Anlass widmen das Österreichische Filmmuseum und im April das Kinok St. Gallen dem Jubilar Retrospektiven.
Wesentlich haben die Filme Michael Hanekes zum Ruf Österreichs als "world capital of feel-bad cinema" (New York Times, 2006) beigetragen: Kein Wohlfühlkino will der 1942 in München als Sohn des Regisseurs und Schauspielers Fritz Haneke und der österreichischen Burgschauspielerin Beatrix Degenschild geborene und in Wiener Neustadt aufgewachsene Regisseur bieten. Keine Lösungen will er anbieten, denn dies sei Aufgabe der Politiker. Film aber müsse verstören, aufrütteln und provozieren.
Distanziert und kühl ist sein Blick auf die Welt und seine Protagonist*innen. Auf emotionalisierenden Musikeinsatz verzichtet er ebenso wie auf Psychologisierung. Statt mit Identifikationsfiguren arbeitet Haneke oft mit Modellanordnungen, in denen er messerscharf Familien und gesellschaftliche Verhältnisse seziert. Gewalt spielt dabei immer wieder eine zentrale Rolle, doch in der elliptischen Erzählweise wird diese meist ins visuelle Off verbannt.
Verstörend und rätselhaft wirken seine Filme durch die strenge Form und die Aussparungen, die vieles offen lassen. Zentrales Vorbild sind unübersehbar die Filme des französischen Minimalisten Robert Bresson, aber auch Einflüsse von Michelangelo Antonioni sind in der Schilderung von Entfremdung und Kommunikationslosigkeit spürbar.
Zum Kinofilm kam Haneke erst spät. Nach einem abgebrochenen Studium der Philosophie, Psychologie und Theaterwissenschaften arbeitete er als Redakteur und Dramaturg beim Südwestfunk in Baden-Baden, dann als Theaterregisseur an verschiedenen deutschsprachigen Bühnen.
Ab 1973 drehte er Fernsehfilme wie "Drei Wege zum See" (1976) nach einem Text von Ingeborg Bachmann und "Wer war Edgar Allan?" (1984) nach einem Roman von Peter Rosei. Seinen ersten Kinofilm drehte er erst 1989 – also mit 37 Jahren. Als "Berichte vom Fortschreiten der emotionalen Vergletscherung" bezeichnet Haneke selbst die drei Filme "Der siebente Kontinent" (1989), "Bennys Video" (1992) und "71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls" (1994).
Mit diesen Filmen fand er auch schon zu seiner unverkennbaren Filmsprache und zu seinen zentralen Themen. Geht es in "Der siebente Kontinent" um eine kleinbürgerliche Familie, die gemeinsam Selbstmord begeht, so steht im Mittelpunkt von "Bennys Video" ein 13-jähriger Gymnasiast, der emotionslos ein gleichaltriges Mädchen mit einem Bolzenschussgerät tötet und die Tat filmt.
In "71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls" erzählt Haneke schließlich in 71 unterschiedlich langen Einstellungen nach einem Zeitungsbericht vom Amoklauf eines Studenten. – Verstörend sind nicht nur diese Filme durch den Verzicht auf Erklärungen der Handlungen und den eisigen Blick auf die Gefühlskälte und die Entfremdung der Protagonist*innen.
Nach der fürs Fernsehen gedrehten strengen Verfilmung von Franz Kafkas Roman "Das Schloss" (1996) setzte er mit "Funny Games" (1997) nicht nur seine Auseinandersetzung mit Gewalt fort, sondern legte mit dieser Geschichte über eine Familie, die in ihrem Landhaus von zwei sadistischen Jugendlichen heimgesucht wird, auch eine Reflexion über die Medien vor, die drastisch und schockierend mit der Lust des Publikums an filmischer Gewaltdarstellung abrechnet.
Mit seinen Erfolgen war es Haneke in der Folge auch möglich international zu arbeiten. 2007 drehte er in den USA ein Eins-zu-Eins-Remake von "Funny Games" mit Naomi Watts und Tim Roth, zur zweiten künstlerischen Heimat wurde ihm aber Frankreich. Hier weitete er 2000 mit "Code: inconnu" den Blick von der Familie auf die Welt. In gewohnt fragmentierter Erzählweise werden über die lose verbundenen Geschichten von mehreren Pariser*innen Themen wie Rassismus und Migration, Wahrheit und mediale Inszenierung, Zivilcourage und Schuld angesprochen.
Dieser Weitung des Blicks, die auch das Endzeitdrama "Wolfzeit" (2003) kennzeichnet, steht die Intimität der kongenialen Elfriede Jelinek-Verfilmung "Die Klavierspielerin" (2002) gegenüber, für die Haneke in Cannes mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet wurde.
Auf dieses beklemmende Porträt einer zu Gefühlen unfähigen Klavierspielerin, folgte mit "Caché" (2005) ein Film, in dem Haneke die Erschütterung einer heilen Familie mit einer Schuld aus der Zeit des Algerienkriegs verbindet. Doch nicht nur Privates und Historisches werden meisterhaft verknüpft, sondern über Videobänder wird auch wieder ein Diskurs über die Wahrheit von Bildern geführt.
In die deutsche Vergangenheit taucht dagegen der am Vorabend des Ersten Weltkriegs spielende "Das weiße Band" (2009) ein. Bestechend spürt Haneke in dieser norddeutschen Dorfgeschichte den Wurzeln des Bösen – und damit auch des Faschismus – nach und lässt auch in seinem einzigen historischen Film mit der elliptischen Erzählweise Irritation und Verunsicherung zurück.
Pendelschläge zwischen Privatem und Gesellschaftlichem scheinen seine Filme zunehmend zu sein. Denn im Gegensatz zum breiten "Das weiße Band" fokussiert "Amour" (2012), für den Haneke mit dem Oscar und nach "Das weiße Band" zum zweiten Mal mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde, ganz auf einem alten Paar, dessen Beziehung durch einen Schlaganfall der Frau schwer erschüttert wird. Ungewöhnlich berührend und sanft für Haneke ist dieses Kammerspiel und wird getragen von den beiden großartigen Hauptdarsteller*innen Emmanuelle Riva und Jean-Louis Trintignant.
Nicht ganz überzeugen konnte dagegen das Familienporträt "Happy End" (2017), das wie eine Verarbeitung zahlreicher Haneke-Themen und Situationen wirkt, aber nichts Neues brachte. – Verschmerzbar ist dies aber angesichts der Fülle großer und bleibender Filme, die der österreichische Filmemacher, der am 23. März seinen 80. Geburtstag feiert, in den letzten drei Jahrzehnten schuf.
Retrospektive im Österreichischen Filmmuseum, Wien Filmreihe im Kinok St. Gallen Dokumentation "Der Haneke-Code" (50 min.)
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