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  • AutorenbildWalter Gasperi

Maria Montessori – La nouvelle femme

Léa Todorov erzählt in erlesenen Bildern von Maria Montessori, die um 1900 für ihre Unabhängigkeit in einer von Männern dominierten Gesellschaft kämpft und eine neue Pädagogik entwickelt, bei der die Zuneigung zu den SchülerInnen und deren Freiheit eine zentrale Rolle spielen: Ein von zwei starken Hauptdarstellerinnen getragenes, aber auch sehr konventionell erzähltes Historiendrama.


Der Originaltitel "La nouvelle femme" gibt schon die Stoßrichtung des Spielfilmdebüts von Léa Todorov vor. Hier geht es nicht nur um die italienische Reformpädagogin Maria Montessori (1870 – 1952), sondern um die Emanzipation der Frau aus der Abhängigkeit in einer Männergesellschaft insgesamt.


Dazu hat Todorov neben dem Blick auf Montessori (Jasmine Trinca) einen zweiten - fiktiven – Erzählstrang um die Pariser Kurtisane Lili d´Alengy (Leïla Bekhti) eingebaut. Während diese in der französischen Hauptstadt gelernt hat, den Spieß umzudrehen und die Männer selbst zu benützen, fällt in Rom im Institut, in dem Montessori sich um die Bildung von Kindern mit Behinderung bemüht, der ganze Ruhm ihrem Partner und Co-Direktor (Raffaele Esposito) zu.


Schwer belastet Montessori, dass sie ihr uneheliches Kind Mario einer Bäuerin übergeben hat, um ihre Unabhängigkeit zu bewahren. Auf keinen Fall möchte sie den Kindsvater heiraten, denn Ehe ist für sie mit Abhängigkeit vom Mann verbunden. Während sie sich nach ihrem Sohn sehnt, möchte Lili ihr behindertes Kind Tina, das bislang in der Obhut ihrer Mutter aufwuchs, vor der Öffentlichkeit verheimlichen und so schnell wie möglich abschieben.


So bringt sie es von Paris nach Rom, wo sie Montessori bittet, es in ihrem Institut aufzunehmen. Zwei gegensätzliche Frauen führt Todorov so zusammen, die aber nicht nur das Streben nach Unabhängigkeit, sondern auch die Mutterschaft verbindet. Während Lili langsam ihren Egoismus ablegt, als sie erkennt, welche Fortschritte Tina durch die liebevolle Atmosphäre im Institut macht, lernt Maria durch sie in der Öffentlichkeit aufzutreten und lernt so auch Frauen kennen, die ihr schließlich ermöglichen den Traum, von einer privaten Schule zu verwirklichen.


Sorgfältig ist das ausgestattet und punktet mit in warme Farben getauchten, erlesenen Bildern von Festgesellschaften ebenso wie vom Unterricht im Institut. Immer wieder fängt die Kamera von Sébastien Goepfert in langen Parallelfahrten die Schauplätze und das Geschehen ein. Große inszenatorische Einfälle darf man aber nicht erwarten. Sehr konventionell bleibt die Inszenierung und Todorov vertraut ganz auf ihre Hauptdarstellerinnen, während die Männer kaum Profil gewinnen und sich schließlich auch der Partner und Kollege der Reformpädagogin, Ärztin und Philosophin seine dunkle Seite offenbart.


Um Jasmine Trincas Montessori und Leïla Bekhtis Lily herum kann die 42-jährige Französin so immer wieder die patriarchale Gesellschaft, die Frauen am liebsten auf die Rolle der Hausfrau und Mutter reduziert, aufdecken, ohne dabei in Polemik zu verfallen. Da reicht es zu zeigen, wie im Pariser Varieté ein nahezu ausschließlich männliches Publikum Lily bei ihrem Auftritt begafft oder Maria ausschließlich mit Männern zu konfrontieren, wenn Wissenschaftler und Behörde das Institut inspizieren oder die Kinder, in denen sie nur Idioten oder Affen sehen, abprüfen.


Klug war auch die Entscheidung nicht zu versuchen, anekdotisch das ganze Leben Montessoris nachzuzeichnen, sondern sich auf eine fiktive, 1900 spielende Episode zu beschränken. Rund fließt so die Handlung dahin und beglückend kann Todorov mit großartigen Kinderdarsteller:innen, aus denen Rafaelle Sonneville-Caby in der Rolle der Tina herausragt, die Erfolge des neuen pädagogischen Ansatzes vermitteln.


Wie Montessori dabei in ihrem eigenen Leben für Selbstbestimmung und Unabhängigkeit kämpft, so überlässt sie ihren Schützlingen diese Freiheit und ermöglicht ein entdeckendes Lernen. Spürbar wird dabei, wie Zuwendung und Empathie die entscheidende Rolle spielen. Aber auch die inspirierende Kraft der Musik wird immer wieder spürbar, sodass die Pädagogin bald auch dieses Element in ihren Unterricht einbaut.


Nicht zu übersehen ist aber auch, dass die Protagonistin als makellose Lichtgestalt gefeiert und alle dunklen Seiten ausgeklammert werden. Denn vorgeworfen wird Montessori inzwischen, dass auch sie die im frühen 20. Jahrhundert weit verbreiteten rassistischen und eugenischen Gedanken vertrat, zwischen "höheren" und "niederen" Rassen unterschied und für eine Trennung der "normalen" von den "abnormalen" Menschen eintrat.


So wurde sie auch zunächst von Mussolini unterstützt, der ihre Methode 1924 an den italienischen Schulen einführte. Trotz Distanzierung vom Faschismus, als dieser sich in den 1930er Jahren immer mehr in den Unterricht einmischte, widerrief sie bis zu ihrem Lebensende 1952 ihre rassistischen Gedanken nicht.


Maria Montessori – La nouvelle femme

Frankreich / Italien 2023

Regie: Léa Todorov

mit: Jasmine Trinca, Leïla Bekhti, Rafaelle Sonneville-Caby, Raffaele Esposito, Laura Borelli, Nancy Huston, Agathe Bonitzer, Sébastien Pouderoux, Pietro Ragusa

Länge: 100 min.



Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Feldkircher Kino GUK und im Kinok St. Gallen

Spielboden Dornbirn: Sa 6.4. + Di 13.4. - jeweils 19.30 Uhr



Trailer zu "Maria Montessori - La nouvelle femme"




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