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AutorenbildWalter Gasperi

M (1931)


Ein Kindermörder verbreitet in Berlin Angst und Schrecken, doch nicht nur die Polizei, sondern auch die Verbrecher der Stadt fahnden nach ihm. – Fritz Langs 1931 entstandenes Meisterwerk, das dank brillantem Einsatz von Bild und Ton bis heute nichts von seiner Faszination verloren hat, ist bei Atlas Film in einem eleganten Mediabook in restaurierter Fassung auf DVD und Blu-ray erschienen.


"Mörder unter uns" sollte Fritz Langs erster Tonfilm ursprünglich heißen, doch die Produktionsfirma, die darin eine Anspielung auf die stärker werdenden Nationalsozialisten sah, ließ diesen Titel nicht zu. Lang selbst sah seinen Film als Tatsachenbericht, verwendete laut Joan Kristin Bleicher (M, in: Filmgenres: Kriminalfilm, S. 59) den Prozess gegen den Düsseldorfer Massenmörder Peter Kürten als Vorlage, entnahm Anregungen aber auch den Kriminalfällen der Massenmörder Haarmann, Großmann und Denke, sowie dem Doppelmord an den Geschwistern Fehse in Breslau, dem Fall Husmann und Berichten über weitere Kindermorde.


Mit Schwarzfilm und einem Kinderreim über den Schwarzen Mann, der mit dem Hackebeil kommt, setzt "M" ein, ehe man die Kinder in einem Berliner Innenhof zu Gesicht bekommt und eine Mutter, die ihnen verbietet dieses Lied zu singen. Während Frau Beckmann das Mittagessen zubereitet, verlässt Tochter Elsie die Volksschule. Als sie ihren Ball auf eine Litfasssäule wirft, verdunkelt der Schatten eines Mannes die Säule mit dem Plakat, das über die Fahndung nach dem Kindermörder und die Belohnung für sachdienliche Hinweise informiert.


Der Mann, der die Melodie "In der Halle des Bergkönigs" aus der Peer-Gynt-Suite Nr. 1 von Edvard Grieg pfeift, kauft dem Mädchen einen Luftballon, während die Mutter zuhause zunehmend panischer wartet. Eine Abfolge von Einstellungen des leeren Dachbodens, des leeren Treppenhauses, des unberührten Tellers am leeren Essenstisch, dann des ins Gebüsch rollenden Balls und des Luftballons, der sich in Telefonleitungen verheddert, deutet an, dass Elsie ermordet wurde.


Während der Polizeipräsident dem Minister, der Fahndungsergebnisse fordert, die Bemühungen der Polizei schildert, wird gleichzeitig auf der Bildebene Einblick in die vielfältige kriminalistische Arbeit geboten. Die verschärften Polizei-Razzien beunruhigen auch die Verbrecher der Stadt, die sich in ihren Geschäften gestört sehen. Vielleicht noch mehr als die Polizei wollen sie den Kindermörder deshalb ergreifen. In bestechender Parallelmontage verschränkt Lang die Besprechung der Polizei und die der Verbrecher und schaltet damit die beiden Gruppierungen quasi gleich.


Während viele Regisseure am Beginn der Tonfilmzeit dazu neigten, ganz auf den Dialog zu setzen, und die visuelle Ebene vernachlässigten, arbeitet Lang souverän mit Bild und Ton. An Stummfilme erinnern hier noch viele tonlose Einstellungen, teilweise werden Geräusche bewusst zurückgenommen, teilweise akzentuieren sie das Geschehen. Wenn sich ein Bettler beim dissonanten Klang einer Drehorgel die Ohren zuhält, dreht auch Lang den Ton ab. Auf Off-Musik verzichtet er, zentrale Bedeutung gewinnt dadurch die Melodie, die der Mörder pfeift und die ihn schließlich entlarvt.


Brillant ist aber auch die variantenreiche visuelle Gestaltung, bei der mit Parallelmontagen Spannung gesteigert wird, mit kühnen Sprüngen von der Totale in die Großaufnahme und umgekehrt der Blick gelenkt wird und statische Einstellungen dynamischen Kamerabewegungen gegenüberstehen.


Souverän wechselt Lang auch die Genres, lässt "M" sozialrealistisch mit dem Blick in einen Berliner Wohnblock beginnen, schildert dann fast dokumentarisch die Polizeiarbeit mit Analyse von Fingerabdrücken und eines Schriftstück, ist satirisch in der Attacke auf die Hysterie und das Denunziantentum, das die Mordserie in der Bevölkerung auslöst, und deckt prägnant die Unzuverlässigkeit vieler sich widersprechender Zeugen, die sich wichtig machen wollen oder auf die Belohnung aus sind, auf.


Die Verbrecher, die den Mörder vor der Polizei ergreifen und ihm in einem Keller – oder in der Unterwelt – den Prozess machen wollen, scheinen dabei die "Rechtssprechung" des Nationalsozialismus schon vorwegzunehmen. Wie ein Gestapo-Mann oder sogar Joseph Goebbels wirkt so der Schränker (Gustav Gründgens), der die Bande leitet, mit seinem dunklen Ledermantel und seiner Feststellung, dass ein Triebtäter beseitigt werden müsse, da er ja immer wieder solche Taten begehen werde.


Peter Lorre als Mörder vermittelt dagegen eindringlich mit seiner furiosen schauspielerischen Leistung das Getriebene und Zwanghafte dieses Charakters. Ganz harmlos und kindlich wirkt er auf der einen Seite und ist doch – auch wenn man diese nie sieht - zu Morden an unschuldigen Kindern fähig. Durch das Spiel Lorres erscheint diese Figur aber nicht als Monster, sondern als bemitleidenswerte Figur.


An Sprachversionen bieten die bei Atlas Film in einem eleganten Mediabook erschienene DVD und Blu-ray die deutsche Originalfassung, zu der deutsche Untertitel zugeschaltet werden können. Die Extras umfassen eine Bildergalerie, Trailer zu weiteren Titeln dieses Labels, sowie ein 24-seitiges Booklet mit einem ausführlichen Beitrag von Martin Koerber zur Restaurierung des Films, Rezensionen anlässlich der Uraufführung des Films, eine kurze Biographie Peter Lorres sowie zahlreiche Filmstills.


Trailer zu "M"



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