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  • AutorenbildWalter Gasperi

Lohn der Angst - Le salaire de la peur


Vier Männer versuchen in zwei LKW hochexplosives Nitroglyzerin auf einer rauen Piste 500 Kilometer zu einer brennenden Ölquelle zu bringen: Henri-Georges Clouzots 1953 entstandener, tief pessimistischer und existentialistischer Klassiker des Spannungskino ist bei Filmjuwelen auf DVD und Blu-ray erschienen.


Henri-Georges Clouzot galt als Perfektionist und dieses Streben nach Perfektion prägt auch "Lohn der Angst". Aus Kostengründen wurde zwar nicht in Südamerika, sondern in Südfrankreich gedreht, dennoch wirkt die Szenerie so echt wie die Figuren. Schon mit den ersten Bildern, in denen ein Junge Kakerlaken traktiert, ein Eisverkäufer durch die von Schlaglöchern geprägten Straßen des nicht genauer lokalisierten Kaffs Las Piedras fährt, wird eine Stimmung der Tristesse und Ausweglosigkeit evoziert.


Wenn hier die Europäer in Hängematten oder vor der Kneipe herumhängen, ist nicht nur die lähmende Hitze, sondern auch der Schweiz und Dreck geradezu physisch spürbar. Hoffnung auf schnelles Geld hat diese Glücksritter und Abenteurer wohl hierher verschlagen, jetzt sitzen sie aber fest, finden keinen Job und kommen auch nicht mehr weg.


Clouzot, dem auch zwei Jahre später mit "Die Teuflischen" ein Meisterwerk des Thrillers gelang, lässt sich eine halbe Stunde Zeit für die Schilderung des monotonen Alltags. Die Schwarzweißbilder von Kameramann Armand Thirard steigern die triste Atmosphäre. Rassismus wird im Umgang mit den Eingeborenen sichtbar und auch der junge Korse Mario (Yves Montand) sieht in Linda (Vera Clouzot) nur eine kurze Liebschaft, während sie wirklich an ihm zu hängen scheint.


Ohne zu zögern, lässt er sie stehen, als der Gangster Jo (Charles Vanel) auftaucht, den er von früher kennt. In weißem Anzug gibt Jo sich als Mann von Welt, spielt den Starken und Furchtlosen, der bald in der Kneipe den Ton angibt. Geradezu hörig scheint Mario dem vermeintlich großen Mann, doch später werden sich die Verhältnisse in dieser Beziehung umkehren.


Bewegung kommt ins Leben dieser Gruppe Verlorener als die Nachricht vom Brand einer Ölquelle eintrifft. 2000 Dollar verspricht die US-amerikanische Ölfirma, deren Schilderung Clouzot den Vorwurf des Antiamerikanismus einbrachte und zu Kürzungen des Films in den USA führte, demjenigen, der Nitroglyzerin an die 500 Kilometer entfernte Unfallstelle bringt.


Obwohl dies ein Himmelfahrtskommando ist, da die explosive Ladung auf der rauen Piste jederzeit mit LKW und Fahrer hochgehen kann, ist die Zahl der Bewerber groß. Sichtbar wird so, wie verzweifelt die Lage dieser Männer ist, wie viel sie zu riskieren bereit sind, um endlich Las Piedras verlassen zu können.


Bei der folgenden Auswahl setzen sich mit dem italienischen Bauarbeiter Luigi (Folco Lulli), dem der Arzt aufgrund seiner Zementlunge nur noch eine kurze Lebenszeit gibt, und dem Deutschen Bimba (Peter van Eyck) sowie mit Mario und Jo, der freilich erst dadurch zum Zug kommt, dass er einen Konkurrenten ausschaltet, zwei Zweierteams durch.


Mit 30 Minuten Sicherheitsabstand fahren sie nachts mit ihrer gefährlichen Fracht los. Von der präzisen Milieuschilderung wandelt sich "Lohn der Angst" so nach einer Stunde zum nervenzerrenden Thriller, der ganz auf die Fahrt der beiden LKW fokussiert. Eine Wellblechpiste, die mit hohem Tempo durchfahren werden muss, eine Serpentine an einer Bergstraße, bei der über eine frei über dem Abgrund schwebende Holzrampe reversiert werden muss, ein Felsblock, der die Straße versperrt, eine riesige Ölpfütze, die durchquert werden muss, sorgen für Momente höchster Gefahr.


Gleichzeitig bringt die Fahrt das Beziehungsgefüge innerhalb der beiden Teams in Bewegung. Da werden Luigi und Bimba, die sich davor kaum kannten, zu Freunden, während sich der scheinbar souveräne Jo als Feigling entpuppt und von Mario bald nur noch verachtet wird.


Meisterhaft wechselt Clouzot zwischen äußerer Spannung und Charakterisierung der Protagonisten. Die Schwarzweißbilder der mal wüstenhaften, mal gebirgigen, mal dschungelhaften Landschaften verankern die Fahrt atmosphärisch dicht im Raum, der Wechsel zwischen Totalen und Großaufnahmen steigert immer wieder die Spannung und im Blick auf die Figuren sind Schmutz, Schweiß und vor allem ihre Angst durchgehend spürbar.


In seiner Intensität entwickelt sich "Lohn der Angst" dabei zum tief pessimistischen, existentialistischen Drama über die Verlorenheit des Menschen, über Gier und die Sehnsucht aus der bedrückenden Situation auszubrechen, über Freundschaft und Verrat, Mut und Feigheit und über die Vergeblichkeit und das Scheitern aller Bestrebungen. Wenn der sterbende Jo von Mario schließlich wissen möchte, was denn hinter dem Lattenzaun in einer gewissen Pariser Straße sei, und Mario antwortet, dass nichts dahinter sei, dann ist das natürlich auch eine pessimistische Metapher dafür, dass es nichts jenseits dieses Lebens gibt.


Und auch wenn hier einer überlebt, gönnt Clouzot ihm dennoch kein Happy End: Da mag Johann Strauß´ "An der schönen blauen Donau" fröhliche Stimmung verbreiten, in der Kneipe von Las Piedras ausgelassen getanzt werden und auch der LKW auf der Bergstraße durch die Musik aus dem Autoradio förmlich zum Tanzen gebracht werden, so ist der Absturz in Tragik in diesem Thriller, der in den 70 Jahren seit seiner Entstehung nicht gealtert ist, kein bisschen Staub angesetzt hat und immer noch über 150 Minuten packt, doch nicht weit.


An Sprachversionen bieten die bei Filmjuwelen erschienene DVD und Blu-ray die französische Original- und die deutsche Synchronfassung sowie deutsche und englische Untertitel. Die Extras umfassen neben dem originalen, dem westdeutschen und ostdeutschen Kinotrailer sowie dem deutschen Vor- und Abspann ein fünfminütiges Interview mit Yves Montand und die 50-minütige Dokumentation "Henri-Georges Clouzot – Der erleuchtete Tyrann", die mit zahlreichen Interviews Einblick in Schaffen und Persönlichkeit des 1977 verstorbenen französischen Regisseurs bietet.


Dazu kommt eine – ebenso wie die anderen Features – deutsch untertitelte 35-minütige Analyse des Films durch die Filmprofessorin Lucy Mazdon sowie ein Audiokommentar von Rolf Giesen, der vielfältige Hintergrundinformationen zu Clouzot, Montand und auch der Produktionsgeschichte bietet, aber nie konkret auf Filmszenen eingeht. Auch ein Booklet mit einem fundierten Text von Roland Mörchen, der spannende Informationen zu Clouzot sowie der Rezeption und existentialistischen sowie religiösen Elementen des Films bietet, fehlt nicht.



Trailer zu "Lohn der Angst"


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