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  • AutorenbildWalter Gasperi

Little Joe


In einem Labor wird eine Pflanze entwickelt, deren Duft Glücksgefühle auslösen soll. Bald stellt sich aber die Frage nach den Nebenwirkungen. – Jessica Hausner ist mit ihrem ersten englischsprachigen Film ein kalter, aber visuell starker Psychothriller gelungen, der Fragen von Wahrnehmung und Identität verhandelt.


Das Unheimliche und Irrationale spielte schon in früheren Filmen der 48-jährigen Wienerin eine große Rolle: Wunderheilungen im französischen Wallfahrtsort standen im Zentrum von „Lourdes“, Erinnerungen an Kubricks „Shining“ weckte der Psychothriller „Hotel“. Auch bei ihrem ersten englischsprachigen Film ließ sich Hausner von der Filmgeschichte inspirieren, denn unweigerlich erinnert „Little Joe“ an Don Siegels „Invasion of the Body Snatchers“ und an Roger Cormans „The Little Shop of Horrors“.


Wie in letzterem steht auch hier eine Pflanze im Mittelpunkt, wie in ersterem scheint diese die Menschen zu verändern. Steckten hinter den Manipulationen der Protagonisten bei Siegels 1956 entstandenem Klassiker freilich Außerirdische, die man auch als Chiffre für den Kommunismus lesen konnte – oder auch als die Gehirnwäsche durch McCarthy – so ist bei Hausner das Bedrohliche selbstgemacht.


Lange kreist die Kamera von Martin Gschlacht über das sterile weiße Labor, in dem die leuchtend roten Blumen gezüchtet werden. Der Wissenschaftlerin Alice (Emily Beecham) scheint es gelungen zu sein, eine Pflanze zu züchten, die durch ihren Duft das „Mutterhormon“ Oxytocin freisetzt und so bei den Menschen Glücksgefühle auslöst. Viel Fürsorge braucht die Pflanze freilich, benötigt nicht nur optimale äußere Bedingungen, sondern auch viel Zuspruch durch den Menschen und emotionale Nähe.


Um eine unkontrollierte Ausbreitung der Blume zu verhindern, wurde die Pflanze als steril entworfen, doch sie scheint einen eigenen Überlebenstrieb zu entwickeln und die Menschen, die ihren Duft einatmen so zu verändern, dass diese das Wohl der Blume über alles stellen. Dies stellt Alice bald auch an ihrem Sohn fest, dem sie – trotz Verbot durch die Firma – eine Blume, die sie „Little Joe“ nennt, mit nach Hause bringt.


Die Veränderungen der Menschen sind aber so gering, dass sie nur die nächsten Bekannten wahrnehmen. Möglich ist dabei freilich auch, dass sich diese Menschen aus ganz anderen Gründen verändern oder aber eben Facetten an den Tag legen, die sie bisher verbargen.


In gewohnt kühler Erzählweise und in perfekt sterilem Setting (Production Design: Katharina Wöppermann), das von blassem Grün und Weiß bestimmt wird, entwickelt sich so ein ebenso leiser wie ambivalenter Thriller, bei dem man sich über die Charaktere nie sicher sein kann. Vielleicht ist nämlich das Verhalten von Alices Sohn auch nur eine Reaktion auf die Vernachlässigung durch die Mutter, die sich selbst als Workaholic sieht.


Trügt hier also die Wahrnehmung des anderen oder liegt wirklich eine Veränderung der Persönlichkeit vor? Ist das Glück, das diese Pflanze auslöst, wirklich wünschenswert, wenn die Person dadurch die eigene Identität verliert, nicht mehr der ist, der er eigentlich war? – Ganz gewiss ist freilich, dass der Konzern die Pflanze schließlich doch, egal welche Nebenwirkungen es gibt, produzieren wird, denn mit dem Glück kann man – wie auch der Nachspannsong „Happiness, Business“ signalisiert - immer ein Geschäft machen.


Im Gewand eines stylischen Thrillers, der ganz ohne Blut und Gewalt auskommt, aber auch mit einem starken Sounddesign (Erik Mischijev, Matz Müller) und der die eisige Stimmung perfekt unterstützenden Musik des japanischen Komponisten Teiji Ito oder einem Hund als erstem „Opfer“ der Pflanze mit klassischen Horrorelementen arbeitet, verhandelt Hausner so durchaus aktuelle Fragen, nicht nur über Genmanipulation und die Folgen von Antidepressiva, sondern auch nach der menschlichen Identität und der Wahrnehmung des anderen.


In seinem klinisch kalten Look und Blick kann dieser Mix aus Genre- und Arthouse-Kino so zwar das Publikum spalten, ist in seiner Ambivalenz, seinem Stilwillen und der meisterhaft kontrollierten Inszenierung aber durchgehend faszinierend und spannend.


Läuft derzeit im St. Galler Kinok


Trailer zu "Little Joe"



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