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  • AutorenbildWalter Gasperi

Lieber Thomas


Andreas Kleinerts Spielfilm über den Schriftsteller und Filmemacher Thomas Brasch (1945 – 2001) war mit neun Auszeichnungen, darunter für den besten Film, die beste Regie, das beste Drehbuch und den besten Hauptdarsteller, der große Sieger bei der heurigen Verleihung des Deutschen Filmpreises. Bei Eurovideo ist das ebenso unkonventionelle wie mitreißende Biopic auf DVD und Blu-ray erschienen.


Ungewöhnlich ist schon der Einstieg mit einer Männerhand, die einen nackten Frauenkörper mit Gedanken zum Leben beschriftet. Es sind Zeilen aus Thomas Braschs 1977 erschienenem Gedicht "Was ich habe, will ich nicht verlieren", durch die der Film dann auch in sieben Kapitel gegliedert wird.


Die eigentliche Handlung setzt 1955 ein: Der zehnjährige Thomas wird von seinem Vater in die Kadettenschule gebracht. Harmonisch ist hier noch die Vater-Sohn-Beziehung, doch im Jugendalter folgt die Zerrüttung, wenn Thomas gegen das DDR-Regime aufbegehrt, das sein Vater als SED-Parteifunktionär und stellvertretender Minister für Kultur (1966 – 1969) bedingungslos unterstützt.


Als Thomas (Albrecht Schuch) nämlich 1968 mit seinen Freunden Flugzettel gegen den sowjetischen Einmarsch in der CSSR verteilt, denunziert der Vater (Jörg Schüttauf) sogar seinen eigenen Sohn. Die zweijährige Haftstrafe wird aber auf sein Einwirken in Arbeit in einem Stahlwerk umgewandelt.


Schon zuvor begehrte Thomas aber gegen die Dozentin an der Filmhochschule auf, immer wieder eckt er an und intensiv vermittelt Kleinert die Leidenschaftlichkeit dieses Lebens, das von schriftstellerischer Kreativität ebenso wie von wilden Partys und rasch wechselnden Frauenbeziehungen gekennzeichnet ist.


Im Furor des Lebens und der Erzählweise, aber auch im brillanten Schwarzweiß erinnert "Lieber Thomas" an Kirill Serebrennikovs Blick auf die jugendlichen Rockmusiker im Leningrad der frühen 1980er Jahre in "Leto". Die gleiche Energie wie Serebrennikovs Jugendliche zeichnet auch den jungen Brasch aus und auch in "Lieber Thomas" wird das Rebellische immer wieder durch heftige Rockmusik nach außen gekehrt.


Doch auch mit der Auswanderung in den Westen 1976 findet Brasch keine Ruhe, denn auch die Ansprüche und Anforderungen, die dort an ihn gestellt werden, will er nicht erfüllen. Während seine große Liebe Katharina Thalbach (Yella Haase) Karriere am Theater macht, erscheint er immer zerrissener.


In Interviews will er nicht mit der DDR abrechnen, in der er groß geworden ist, die Autobiographie, für die er ein hohes Honorar erhalten soll, will oder kann er nicht schreiben. Dafür arbeitet er weiter an einem Roman über den Mädchenmörder Brunke und hinterlässt schließlich ein unvollendetes Manuskript von 16.000 Seiten.


Im Kokainrausch versinkt er in Alpträume, bei der Uraufführung seines Films "Engel aus Eisen" in Cannes 1981 imaginiert er eine heftige Konfrontation mit seinem Vater. Nur im Hintergrund wird der Mauerfall im Jahr 1989 angedeutet und mit einer weiteren großen Ellipse springt Kleinert zum Tod Braschs ins Jahr 2001.


Kein rundes und glattes Biopic ist dies, sondern ein so eckiger und kantiger, aber auch so kraftvoller und leidenschaftlicher Film wie Brasch selbst. Statt Fakten abzuhaken, konzentriert sich Kleinert in seiner mit großen Zeitsprüngen arbeitenden, fragmentarischen Erzählweise auf markante Momente, in denen er in intensiven Szenen das Innenleben Braschs vermittelt. Großartiges leistet dabei auch Kameramann Johann Feindt, der in seinen brillanten Schwarzweißbildern nicht nur die Stimmung der Zeit einfängt, sondern auch das Rebellische spürbar macht.


Getragen wird dieses mitreißende Biopic über einen Künstler, der sich nie anpassen konnte oder wollte, aber von einem großartigen Ensemble. Albrecht Schuch lebt die Leidenschaft und die Wut Braschs, auch Jella Haase brilliert als Katharina Thalbach, die um ihren Freund kämpft, aber zunehmend weniger an ihn ran kommt. Großartig ist aber auch Jörg Schüttauf als Vater, der zerrissen ist zwischen seiner Liebe zu seinem Sohn und seinem Glauben an die DDR als Land und Gesellschaft der Zukunft.


An Sprachversionen bieten die bei Eurovideo erschienene DVD und Blu-ray die deutsche Originalfassung, zu der Untertitel für Hörgeschädigte zugeschaltete werden können. Die Extras umfassen neben dem Trailer sehr kurze Featurettes zu Thomas Brasch, der filmischen Vision, Albrecht Schuchs Verkörperung von Brasch, Braschs Familie und dem Erbe des kontroversen Künstlers.


Trailer zu "Lieber Thomas"



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