Eine 30-jährige Pariser Studentin möchte schnell und intensiv leben, stürzt sich in Affären, bis sie die fast doppelt so alte Schriftstellerin Emilie kennenlernt. – Mit einer groß aufspielenden Anaïs Demoustier in der Hauptrolle und markanten Nebenrollen für Valeria Bruni Tedeschi und Denis Podalydès gelang Charline Bourgeois-Tacquet ein flirrender Sommerfilm, der nach quirlig-komödiantischem Beginn gegen Ende auch gefühlvollere und leisere Töne anschlägt.
Die ersten Bilder erzeugen mit warmem Licht und kräftigen Farben nicht nur Sommerstimmung, sondern machen auch schon mit der Studentin Anaïs (Anaïs Demoustier) bekannt. Nicht nur bei diesem Einstieg rennt sie mit kurzem Sommerkleid durch die Straßen, sondern auch später werden Szenen immer wieder mit ihrem atemlosen Lauf eingeleitet. Die dynamische Kamera und schnelle Klaviermusik vermitteln dabei intensiv ihren Elan und Schwung. Auch die schnelle Abfolge der Vorspanntitel, wiederum unterlegt von flotter Klaviermusik, unterstreichen dieses Tempo.
Aber nicht hektisch oder getrieben wirkt Anaïs, sondern vielmehr als junge Frau, die keinen Moment verstreichen lassen will, jeden Moment auskosten und intensiv leben will. Ihre Beziehung mit dem Studenten Raoul hat sie beendet, weil sie nicht weiß, ob sie ihn noch liebt. In ihre Entscheidung ihre Schwangerschaft abzubrechen, bezieht sie ihn gar nicht erst ein. Unbekümmert wie ein Teenager agiert diese 30-Jährige, folgt ihren Impulsen und achtet dabei nicht auf andere. Mit einem Bulldozer vergleicht Raoul sie folglich auch.
Kaum Zeit hat sie so auch für die Vermieterin, die den Mietrückstand kritisiert. Mit ihrem nicht zu bremsenden Redefluss versprüht sie aber einen Charme, dem auch diese Frau nichts entgegenzusetzen hat. Zu akzeptieren scheint sie auch, dass sich ihre Mieterin während des Besuchs rasch umzieht und sie praktisch hinauswirft, um auf eine Party zu gehen.
Auch dort baut Charline Bourgeois-Tacquet dieses Porträt aus, wenn Anaïs ganz selbstverständlich zwischen den Gästen Dehnungsübungen macht und sich im fremden Badschrank an Salben bedient. Gerade diese jugendliche Forschheit scheint den deutlich älteren Verleger Daniel (Denis Podalydès) aber auf Anhieb anzusprechen, sodass er eine Affäre mit Anaïs beginnt. Diese beginnt sich aber für Daniels abwesende Partnerin Emilie (Valeria Bruni-Tedeschi) zu interessieren. Um sie kennenzulernen, reist sie deshalb bald in die Bretagne, wo die Autorin ein Literatur-Seminar hält.
Leichthändig fügt Bourgeois-Tacquet mit einer neu ausbrechenden Krebserkrankung von Anaïs´ Mutter aber auch dunkle Seiten in diese rasante und flirrende Sommerkomödie ein. Vor dem Hintergrund dieser Krankheit und den damit verbundenen Ängsten gewinnt der Lebens- und Liebeshunger von Anaïs Nachdruck. Auskosten muss man die Dinge, bevor es zu spät ist. Keine Gelegenheit seinem Begehren und seiner Leidenschaft zu folgen, sollte man auslassen. Rücksicht auf andere hat dabei kein Platz.
Auch Emilie erliegt so dem Elan von Anaïs. Langsamer und emotionaler wird "Les amours d´Anaïs" mit dieser Begegnung, lässt nach dem komödiantisch-quirligen Beginn auch echte und tiefe Gefühle zu Tage treten. Vor der prächtigen sommerlichen Atlantikküste entwickelt sich nämlich eine leidenschaftliche Beziehung, bei der die Debütantin mit extrem nah geführter Kamera intensiv in das Begehren und die Leidenschaft der beiden Frauen eintauchen lässt. Gleichzeitig lässt diese Emilie aber auch spüren, wenn sie beim Kolloquium John Cassavetes´ "Opening Night" präsentiert und darüber spricht, dass sie wie die Figur von Gena Rowlands in diesem Film auch selbst mit dem Altern zu kämpfen hat.
Ganz auf Anaïs Demoustier hat Bourgeois-Tacquet ihr Debüt zugeschnitten und weckt durch den gleichen Vornamen zugleich Gedanken an Parallelen zwischen Rolle und Schauspielerin. Die 35-jährige Französin trägt mit ihrem mitreißenden Schwung diesen Film, aber auch die flirrende Sommeratmosphäre und die dynamische Inszenierung, die intensiv Anaïs impulsives und leidenschaftliches Leben vermitteln, tragen zum starken Eindruck dieses typisch französischen Films bei.
Schöner Gegenpol zu dieser unbändigen jugendlichen Lust sind Denis Podalydès und Valeria Bruni Tedeschi. Beide möchten wohl nochmals diese Jugend, die verflossen ist, zurückholen, doch Emilie erkennt auch, dass sie nur eine Affäre für Anaïs sein kann, sie an ihrem gewohnten Leben aber nichts ändern will. Wie mit der Krebserkrankung der Mutter kommt so auch mit der Kontrastierung von lebenshungriger Jugend und gesetztem Alter das Thema Vergänglichkeit ins Spiel, das "Les Amour d´Anaïs" dem Publikum ein entschiedenes "Carpe diem!" zurufen lässt.
Les Amours d´Anaïs Frankreich 2021 Regie: Charline Bourgeois-Tacquet mit: Anaïs Demoustier, Valeria Bruni Tedeschi, Denis Podalydès, Jean-Charles Clichet, Xavier Guelfi Länge: 98 min.
Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino Schaan
Trailer zu "Les amours d´Anaïs – Der Sommer mit Anaïs"
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