In Delphine Lehericeys Feelgood-Movie, das 2022 beim Locarno Film Festival den Publikumspreis gewann, entdeckt ein Pensionist nach dem Tod seiner Frau die Lust am zeitgenössischen Tanz. Allzu glatt mag das inszeniert sein, aber das mit Gefühl und Leidenschaft spielende Ensemble und der warmherzige Blick verbreiten viel Lebensfreude.
50 Jahre sind der 75-jährige Germain (François Berléand) und Lise (Dominique Reymond) ein Paar. Während er eher kontemplativ orientiert ist und sich an Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" erfreut, beginnt sie mit der Truppe der sich selbst spielenden spanisch-schweizerischen Tänzerin und Choreografin La Ribot an den Proben für eine Modern Dance-Aufführung mitzuwirken.
Neben dem beschaulichen Alltag wird das Paar bestens umsorgt von seinen drei erwachsenen Kindern. Statt Helikopter-Eltern hat man für einmal Helikopter-Kinder, denn vor allem Germain fühlt sich durch die Überfürsorge seines Sohnes Mathieu (Jean-Benoît Ugeux) in seiner Freiheit und Selbstständigkeit eingeschränkt
Doch dann stirbt Lise plötzlich bei einem Sturz. Trauer macht sich bei Germain breit, gleichzeitig möchte er aber auch das gegenseitige Versprechen halten, dass der jeweils Überlebende die letzte Aufgabe des Verstorbenen fortsetzt und beendet. So stellt sich Germain bei der Tanzkompagnie vor und legt seinen Wunsch dar für Lise mitzuwirken. Ungelenk benimmt sich der Senior zwar zunächst bei den Proben, doch rasch findet die Chefin La Ribot Gefallen an ihm, unterstützt ihn und ändert die ganze Produktion zunehmend und stimmt sie auf Germain ab.
Gibt es mit "Young@Heart" und "Wie im Himmel" schon Dokumentar- und Spielfilme, in denen ältere Menschen durch Chorgesang wieder zu Lebenslust finden, so geht es im dritten Spielfilm der 2020 für "Le milieu du horizon" mit dem Schweizer Filmpreis ausgezeichneten Delphine Lehericey um zeitgenössischen Tanz. Ein warmherziges Vergnügen ist es zuzusehen, wie der von Francois Berleand mit viel Gefühl gespielte Rentner langsam Spaß am neuen Hobby entwickelt, sich nach Unsicherheiten in die Szene einfügt, zunehmend Lust an Bewegungen und der Entdeckung des Körperlichen empfindet.
Für Witz sorgen dabei seine Angehörigen, vor denen er seine neue Leidenschaft verheimlicht. Diese Angehörigen sind nämlich neben dem Tanz die zweite Komponente in Germains Leben. Noch mehr als vor dem Tod seiner Frau kümmern sich nun seine drei Kinder um ihn, machen einen Betreuungsplan, schlagen sogar einen Umzug in ein Heim vor und überfürsorglich bekocht wird er durch seine Nachbarin Marijane.
Förmlich erdrückt wird Germain von dieser Bemutterung und Überfürsorge mit ständigen Telefonanrufen. Doch liebevoll sind auch seine Kinder oder die Nachbarin gezeichnet, wollen sie alle im Grunde doch nur das Beste für Germain und meinen es gut mit ihm. Seine Geheimniskrämerei bezüglich seines neuen Hobbys führt aber bald zu witzigen Missverständnissen, zu falschen Einschätzungen und zu Wendungen, die das Vergnügen an "Last Dance" steigern.
Dass alles hier zu glatt abläuft, alle zu nett sind und der Film von Harmoniesucht durchzogen ist, kann man diesem Feelgood-Movie, das Lebensfreude und auch Lust am Tanzen und Körperlichkeit, aber durchaus auch am Essen verbreitet, vorwerfen. Doch nimmt man diese Schwäche hin, erlebt man eine runde und feinfühlige Dramödie, die liebevoll und mit Witz sowohl dem Wunsch der älteren Generation nach selbstbestimmtem Leben und Aktivität im Alter gerecht wird als auch die Fürsorge durch die Kinder feiert, aber auch in ihrem Übermaß sanft kritisiert.
Und schließlich wird rückblendend auch berührend von einer großen, das ganze Leben umspannenden Liebesgeschichte erzählt, in der man auch nach dem Tod den letzten Traum des anderen noch erfüllen will.
Nicht unwesentlich tragen zum beglückenden Gesamteindruck auch die sich durch den Film ziehenden Tanzproben bei. Dadurch, dass sich hier La Ribot und ihrer Kompagnie selbst spielen, erhält man einen mitreißenden und authentischen Einblick. Lust auf solche Tanzaufführungen, aber auch auf seine eigene Körperlichkeit wird geweckt. Andererseits feiert Lehericey mit Germains Besuchen in einer Bibliothek und seinen dort versteckten Liebesbriefen einerseits auch das Lesen und andererseits die Romantik von Germains und Lises inniger lebenslanger Liebe.
Last Dance Schweiz / Belgien 2022 Regie: Delphine Lehericey mit: François Berléand, Kacey Mottet Klein, La Ribot, Jean-Benoît Ugeux, Déborah Lukumuena, Astrid Whettnall, Sabine Timoteo Länge: 84 min.
Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino Schaan
Trailer zu "Last Dance"
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