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AutorenbildWalter Gasperi

La règne animal - Animalia

In naher Zukunft führt eine mysteriöse Krankheit zur Mutation von Menschen in tierähnliche Wesen: Thomas Cailley verbindet in seinem aufregenden Genre-Hybrid eine realitätsnahe Vater-Sohn- und Coming-of-Age-Geschichte mit Fantasy-Elementen zu einer spannenden Reflexion über das Verhältnis von Mensch und Tier sowie den Umgang mit Außenseitern im Allgemeinen.


Schon mit seinem Spielfilmdebüt "Les combattants – Liebe auf den ersten Schlag" gelang Thomas Cailley 2014 ein vielbeachteter Mix von Liebes- und Überlebensdrama, in dem Adèle Haenel ihre erste große Hauptrolle spielte. Zehn Jahre später legt der 1980 geborene Franzose nach der Fernsehserie "Ad Vitam" mit seinem zweiten Kinofilm wieder einen Genremix vor, in dem er souverän Unterhaltungskino mit Arthouse verbindet.


Dass die Welt aus dem Lot ist, macht schon die erste Szene deutlich. Während der Koch François (Romain Duris) und sein 16-jähriger Sohn Émile (Paul Kircher) im Verkehrsstau stecken, sehen sie, wie in einem nahen Krankenwagen offensichtlich ein heftiger Kampf tobt, bis ein Mann mit Flügeln die Tür aufbricht und davonfliegt. Kein Einzelfall ist diese Mutation und auch François´ Ehefrau Lana ist davon betroffen.


Weil sie deshalb von einem städtischen Krankenhaus in ein spezielles Therapiezentrum in der ländlichen Gascogne verlegt wird, übersiedeln auch Vater und Sohn. Doch beim Unfall eines Konvois gelingt zahlreichen dieser Kreaturen die Flucht in die Wälder. Während die Behörden den Mischwesen den Kampf erklären, suchen François und Émile auf eigene Faust Lana. Gleichzeitig verliebt sich Émile an seiner neuen Schule erstmals, entdeckt aber auch seltsame Veränderungen an seinem Körper.


Steht zunächst der von Romain Duris stark gespielte Vater im Zentrum, den einerseits die Mutation der Ehefrau schwer belastet und der andererseits im Umgang mit Émile zwischen Gewährung von Freiraum und Fürsorge pendelt, so verschiebt sich mit Fortschreiten des Films der Schwerpunkt sukzessive zum Teenager. Klassischen Bodyhorror à la David Cronenberg entwickelt "Le règne animal" mit den körperlichen Veränderungen, die den von Paul Kircher intensiv gespielten Teenager zutiefst verunsichern. Andererseits kann man darin aber auch eine Verschiebung der Pubertät ins Fantastische sehen.


Wenn nicht nur die Kreaturen hier als Außenseiter erscheinen, sondern auch Émiles Freundin Nina, die an ADHS leidet, und Parallelen zwischen Menschen, die bei einem Fest auf Stelzen dahinschreiten, und Kreaturen mit langen dünnen Beinen hergestellt werden, wird grundsätzlich die Frage nach Fremdheit und Anderssein und dem Umgang damit aufgeworfen.


In der Minderheit sind die, die für ein friedliches Zusammenleben mit den Kreaturen eintreten, die Mehrheit dagegen sieht in den Mutanten nur das Monströse und fordert ein Vorgehen mit Waffengewalt. Der Film aber schlägt sich ganz auf die Seite dieser hilfsbedürftigen Wesen und lässt nicht sie, sondern vielmehr die "normalen" Menschen als brutale Jäger und die eigentlichen Bestien erscheinen.


Verpackt in eine temporeich und mit großem Drive erzählte Vater-Sohn- und Coming-of-Age-Geschichte, die auch von der Notwendigkeit erzählt, den Sohn schließlich loszulassen, übt "Le règne animal" so auch scharfe Kritik am Umgang des Menschen mit der Natur und der Vernichtung von Arten. Gleichzeitig kann man aber in den Kreaturen auch eine Metapher für das Fremde an sich und damit für den Umgang mit Flüchtlingen sehen.


Geschickt wird dabei auch mit dem Gegensatz von Zivilisation und Wildnis gespielt, wenn Émile zunehmend in den grün leuchtenden Wald abtaucht, in dem er einem Vogelmenschen bei seinen Flugversuchen hilft. Wenn dieser zwar seine Stimme verliert, aber andererseits schließlich in die Lüfte abhebt und die Kamera mit ihm über Wald und See fliegt, wird auch die oft behauptete Überlegenheit des Menschen als Krone der Schöpfung in Frage gestellt. Zwar als anders als die Menschen erscheint diese Kreatur, aber mit ihren ganz eigenen Fähigkeiten als durchaus gleichwertig.


Großen Mut beweist Cailley in der Verbindung der realistischen Vater-Sohn-Geschichte mit Fantasy-Elementen, doch gerade diese Mischung macht "Le règne animal" so aufregend und außergewöhnlich. Gerade weil dieser bildstarke Genre-Hybrid in keine Schublade passt, beschert er ein aufregendes Kinoerlebnis, bei dem sich großartig Unterhaltung und intellektueller Gehalt sowie Realismus und magisch-poetische Momente zu einem in sich stimmigen Ganzen fügen.

 

 

Le règne animal - Animalia

Frankreich / Belgien 2023

Regie: Thomas Cailley

mit: Romain Duris, Paul Kircher, Adèle Exarchopoulos, Tom Mercier, Billie Blain, Xavier Aubert, Saadia Bentaïeb, Gabriel Caballero

Länge: 128 min.


Startete Anfang Januar 2024 in den deutschen, österreichischen und Schweizer Kinos - nur noch vereinzelte Vorführungen


Trailer zu "Animalia"



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