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  • AutorenbildWalter Gasperi

L'enlèvement de Michel Houellebecq


Am 16. September 2011 berichteten die Medien vom spurlosen Verschwinden des Schriftstellers Michel Houellebecq. Wenige Tage später tauchte er wieder auf, erklärte aber nie den Grund seines Verschwindens. Guillaume Nicloux fabuliert in seinem 2014 entstandenen Film in quasidokumentarischem Stil mit dem echten Houellebecq in der Hauptrolle seine Version der Geschichte. – Ein schräg absurdes Vergnügen und ein lustvolles Spiel mit Schein und Realität.


Verschiedenste Mutmaßungen gab es über das Verschwinden des umstrittenen, mit dem Prix Goncourt ausgezeichneten Schriftstellers während einer Leserreise mit dem Buch „Karte und Gebiet“ im Herbst 2011: Hat ihn die Al-Qaida oder haben ihn Juden entführt, ist er in eine Identitätskrise gerutscht oder aber war das Ganze nur ein Publicity-Gag? Die Theorien werden auch in Guillaume Niclouxs Film über Radionachrichten, die Houellebecq in seinem „Gefängnis“ hört, angesprochen, doch er erzählt oder erfindet auch eine ganz klare Version – freilich mit viel Schalk.


Mit viel Selbstironie spielt Michel Houellebecq sich selbst weniger als erfolgreichen Schriftsteller als vielmehr als heruntergekommenen Mittfünfziger mit alter Kleidung und zerzauster Frisur, mehr unverständlich – quasi zahnlos – nuschelnd, als sich klar artikulierend. Sieht man ihn zunächst in einigen Szenen in seinem Pariser Alltag, so wird er bald von drei Männern in einer großen grünen Kiste aus seiner Wohnung, die er gerade renovieren lassen will, entführt.


Nicht mehr im Hochhaus in Paris, sondern in einer Containerwohnung auf einem Schrottplatz am Stadtrand findet er sich bald wieder. Das Klebeband um den Mund wird ihm abgenommen, nicht aber die Handschellen und nachts wird er ans Bett gekettet. Doch wenn Houellebecq seine Zigaretten bekommt und später ihm dann auch eine Frau beschafft wird, ist er schon zufrieden, scheint sich in seinem neuen – ziemlich rustikalen - Umfeld wohl zu fühlen und freundet sich bald mit seinen drei Entführern an.


Ihn erschreckt nur, dass sich die Entführer ganz ohne Maske zeigen, denn das verheißt – wie man aus Romanen weiß - nichts Gutes. Doch böse scheinen diese physisch robusten Männer nicht zu sein und so sitzt man bald mit dem polnisch-französischen Ehepaar, dem der Container gehört, zusammen beim Essen. Von „Stockholm Syndrom“ kann man da kaum sprechen, denn nie scheint der Starautor beunruhigt oder verängstigt, sondern von Anfang an scheinen ihm vielmehr seine Entführer sympathisch zu sein.


Nicht nur ununterbrochen geraucht wird, sondern es fließt auch nicht wenig Wein und in der angetrunkenen Atmosphäre, diskutiert man über den Inhalt seines Buchs „Lovecraft“, in dem ein Entführer von Passagen erzählt, von denen Houellebecq behauptet, dass sie gar nicht drin vorkommen, über polnische Nationalität und Holocaust, schaut Boxkämpfe im Fernsehen an, erteilt Houellebecq Unterricht im Kampfsport, bei dem einer der Entführer herrlich seine Muskeln spielen lässt.


Quasidokumentarisch und ohne Musik erzählt Nicloux diese Geschichte, beschränkt sich nach der Entführung Houellebecqs ganz auf die Situation im und um den Container und zeichnet dabei mit viel absurdem Witz vor allem ein höchst ambivalentes Bild des berühmten Schriftstellers. Wunderbar offen bleibt nämlich, inwieweit Houellebecq hier er selbst ist und inwieweit er sich inszeniert, wobei letztlich auch der Film ein kluger Publicity-Gag ist, mit dem sich der Schriftsteller ins Gespräch bringt. Nicht unwesentlich tragen zum Vergnügen aber auch die herrlich schrägen Entführer bei, die sich auch mal heftig streiten, sowie das alte Ehepaar, das Unterkunft gewährt.


Läuft ab 18.6. in den Schweizer Kinos - z.B. im Kinok St. Gallen


Trailer zu "L'enlèvement de Michel Houellebecq"



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