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  • AutorenbildWalter Gasperi

L´été dernier - Im letzten Sommer

Catherine Breillat erzählt in ihrem ersten Spielfilm seit zehn Jahren von einer Affäre zwischen einer renommierten Jugendanwältin und ihrem 17-jährigen Stiefsohn: Ein intensives Drama, das, ohne zu moralisieren, differenziert das Spannungsfeld von Vernunft und Begehren auslotet.


Um die Jahrtausendwende sorgte Catherine Breillat mit den expliziten Sexszenen in "Romance" (1999) für einen Skandal und auch in ihren folgenden Filmen setzte sie sich immer wieder mit Leidenschaft, Sex und Abhängigkeitsverhältnissen auseinander. Still wurde es nach "Missbrauch" ("Abus de faiblesse", 2013) um die 1948 geborene Französin, doch nach zehn Jahren Pause meldet sie sich mit dem Liebesdrama "L´été dernier - Im letzten Sommer" zurück.


Wieder durfte man einen skandalträchtigen Film erwarten, geht es doch um eine Affäre zwischen einer renommierten Jugendanwältin und ihrem 17-jährigen Stiefsohn, doch solche Erwartungen enttäuscht Breillat bei diesem Remake des dänisch-schwedischen Dramas "Königin" (2019) mit ihrer sehr feinfühligen und zurückhaltenden Inszenierung.


Wenn die Anwältin Anne (Léa Drucker) in der Auftaktszene eine jugendliche Klientin darauf aufmerksam macht, dass vor Gericht leicht aus Opfern Täter gemacht werden, wird schon deutlich, wie fließend vielfach die Grenzen sind. Wenn dieser berufliche Hintergrund Annes als Anwältin, die sich für Teenager in schwierigen Situationen und jugendliche Missbrauchsopfer einsetzt, immer wieder kurz hereinspielt, schafft Breillat damit auch eine Kontrastebene zur privaten Geschichte, die sich im Folgenden entwickelt. Aber auch ihrer Aufforderung an den Teenager vor Gericht auf jeden Fall die Wahrheit zu sagen, wird später ihr eigenes Verhalten gegenüberstehen.


Mit ihrem Mann Pierre und zwei etwa dreijährigen Adoptivtöchtern führt sie ein zufriedenes Leben in einem geräumigen Haus bei Paris. Doch als Théo (Samuel Kircher), Pierres 17-jähriger Sohn aus einer früheren Ehe, bei ihnen einzieht, kommt Unruhe in das Familiengefüge. Der rebellische Teenager, der im Haus raucht und ständig am Handy hängt, hält sich nämlich an keine Vorschriften und wirft seinem Vater auch immer wieder vor, dass er ihn im Stich gelassen habe.


Gefühle seien nicht sein Ding, erklärt er auch seiner etwa 50-jährigen Stiefmutter Anne, als diese ihn fragt, ob das Mädchen, mit dem er einmal nach Hause kommt, seine Freundin sei. Doch bald wird sich hier ein anderes Bild einstellen. Wie zum Vater ist auch sein Verhältnis zur Stiefmutter zwar zunächst distanziert, doch langsam entwickelt sich über die Altersgrenzen hinweg eine Nähe, die schließlich in eine Affäre mündet, die Anne freilich bald wieder beenden und auf jeden Fall geheim halten will.


Weitgehend auf die Familie konzentriert, entwickelt Breillat stringent die Handlung. Wenn Théo mit seinen kleinen Stiefschwestern Trampolin hüpft, erscheint er zwar noch als kindlich verspielt, andererseits wird aber auch immer wieder sein sexuelles Interesse spürbar. Ganz unbewusst mag er zwar oft mit nacktem Oberkörper durch das Haus laufen, doch bald nähert er sich Anne sehr gezielt.


Mit kleinen Szenen vom Herumtollen beim Baden in einem See, über Berührungen beim Gespräch über Théos Tattoo bis zu einer gemeinsamen Scooter-Fahrt steigert Breillat diese Nähe. Wie die sommerlich lichtdurchfluteten Bilder von Kamerafrau Jeanne Lapoirie dabei eine warme Atmosphäre evozieren, so erzeugt die Dominanz von Großaufnahmen ein Gefühl von Intimität. Selten sieht man dabei freilich Anne und Théo gemeinsam im Bild, vielmehr trennt sie der Schnitt zumeist.


Eindrücklich vermitteln in diesen langen und intensiven Szenen einerseits Samuel Kircher die Verführungskraft des jugendlichen Lockenkopfs, andererseits Léa Drucker Annes Glück, aber auch deren Sorge vor Entdeckung. Großartig macht sie die Ambivalenz Annes erfahrbar, lässt spüren, wie diese Anwältin im ständigen Widerstreit von Vernunft und Begehren steht, wenn sie die Affäre unmittelbar nach dem ersten Sex beenden will, dann aber doch wieder dem Teenager verfällt.


Auf jedes Moralisieren verzichtet Breillat dabei, beschränkt sich darauf zu beobachten und Annes Zwiespalt auszuloten. Denn einerseits ist sich Anne nicht nur als Erwachsene, sondern noch stärker als Anwältin bewusst, dass eine solche Beziehung inakzeptabel ist, andererseits sind da die begehrenden Blicke und die körperliche Annäherung des jugendlichen Théo, dem sie nicht widerstehen kann.


Gleichzeitig wird dieser leidenschaftlichen Affäre aber auch die zwar liebevolle, aber doch auch in Routine erstarrte Ehe von Pierre und Anne gegenüber gestellt. Pierres Gäste langweilen sie nur, viel spannender und belebender ist da doch ein Kneipenbesuch mit Théo. Auch die Gespräche mit dem Teenager über frühere Beziehungen und Wünsche bewegen Anne sichtlich mehr als Pierres Kommentare zu seiner Arbeit.


Zudem bringen diese Gespräche noch beiläufig einen gesellschaftlichen Aspekt ins Spiel, wenn Anne vom freizügigen Leben ihrer Mutter als Frau der Generation der Pille und der sexuellen Revolution ihre Jugend in Zeiten von Aids und dieser wiederum die sexuell befreite Zeit, in der Théo aufwächst, gegenüberstellt. Aber auch eine traumatische sexuelle Erfahrung Annes in ihrer Jugend wird angedeutet, aber nicht weiter ausformuliert.


Nur eine Frage der Zeit ist freilich, bis diese Affäre doch auffliegt. Ganz unterschiedliche Reaktionen werden dann bei Anne, die alles versuchen wird, um Ehe und Familie zu retten, und Théo, der echte Gefühle entwickelt zu haben scheint, an den Tag treten. Mag schließlich auch alles geklärt scheinen, so setzt Breillat doch noch eine verstörende Schlussszene drauf, die nachwirkt.



Im letzten Sommer – L´éte dernier Frankreich 2023 Regie: Catherine Breillat mit: Léa Drucker, Samuel Kircher, Olivier Rabourdin, Clotilde Courau, Serena Hu, Angela Chen Länge: 104 min.

 

 

Läuft jetzt in den österreichischen und deutschen Kinos. - Ab 4.4. in den deutschschweizer Kinos. TaSKino Feldkirch im Kino GUK: Do 15.2. bis Mo 18.2. Filmforum Bregenz im Metrokino Bregenz: Do, 15.2., 20 Uhr


Trailer zu "Im letzten Sommer – L´éte dernier"



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