Ganz Österreich erwartet von Franz Klammer 1976 den Sieg in der Abfahrt bei den Olympischen Spielen in Innsbruck. Andreas Schmied konzentriert sich auf die letzten Tage vor dem Rennen, liefert mit seinem sehr unterhaltsamen Spielfilm kein Biopic, sondern ein hagiographisches Porträt und bleibt dabei immer so sympathisch bodenständig wie sein 22-jähriger Protagonist.
Nur kurz wird mit Archivmaterial von mehreren Weltcup-Abfahrten ein Eindruck von der dominierenden Stellung Franz Klammers in dieser Disziplin Mitte der 1970er Jahre vermittelt, danach konzentriert sich das Drehbuch von Andreas Schmied und seiner Frau Elisabeth ganz auf die Tage vor dem großen Rennen am 5. Februar 1976 am Innsbrucker Patscherkofel, dem eine ganze Nation gebannt entgegenfieberte.
Ein kluger Schachzug ist diese Verkürzung, denn sie sorgt dafür, dass der Film nicht ins kurzatmig Anekdotische abgleitet, sondern eine runde und geschlossene Erzählung entwickelt wird. Mit dem Aufbruch im Kärntner Heimatdorf wird so "Klammer" beginnen und mit einer spiegelbildlichen Szene enden.
Dazwischen steht der Countdown zum Rennen in Innsbruck mit Fanbegeisterung, medialer Berichterstattung, die die Stimmung anheizt, einem autoritären, ständig rauchenden Cheftrainer Charly Kahr, den Mitgliedern im Team Sepp Walcher, Jimmy Steiner, Klaus Eberhard und Werner Grissmann, den Kontroversen mit dem Skihersteller Josef Fischer, der unbedingt will, dass Klammer den neuen Loch-Ski fährt, sowie der frischen Liebe zur in Wien Medizin studierenden Eva Hämmerle (Valerie Huber).
Dem zurückhaltenden Klammer (Julian Waldner) steht so der Lebemann Werner Grissmann gegenüber, der Alkohol und Frauen nicht abgeneigt ist, das Team an sich wird als stets zu dummen Scherze aufgelegte fast noch pubertierende Bubengruppe gezeichnet, während im Konflikt mit Fischer der bodenständige Bergbauernsohn auf reines Profitdenken trifft. Ganz am Rande bleibt dagegen die sportliche Konfrontation mit dem großen Schweizer Konkurrenten Bernhard Russi.
Mit kräftigem Strich inszeniert das Schmied. Klar gezeichnet sind die Figuren, Zwischentöne gibt es nicht, dafür wird mit Kleidung, Autos und Frisuren sowie fast allgegenwärtigen Zigaretten deftig ein Zeitbild gezeichnet oder auch überzeichnet. Denn einerseits spürt man zwar Schmieds Begeisterung für diese Zeit und seinen Protagonisten, gleichzeitig schwingt in seinem leicht augenzwinkernden Blick doch auch eine liebevolle Ironie mit, die seinen Film, der gleichwohl mitreißend die aufgeheizte Stimmung in Österreich schildert, große Leichtigkeit verleiht.
Das Menschliche steht dabei im Mittelpunkt, Trainingsszenen werden nur reduziert gezeigt und auch beim großen Rennen setzt Schmied nicht mit modernen Mitteln auf Immersion, sondern inszeniert weitgehend wie eine klassische Fernsehberichterstattung dieser Zeit. Kitschig wird es freilich, wenn beim großen Sprung die Zeit schier endlos gedehnt wird und Klammer quasi sein ganzes Leben Revue passieren lässt, sich an Mutter und große Liebe Eva erinnert.
Freiheiten nimmt sich Schmied aus dramaturgischen Gründen auch, wenn er Klammer in der Nacht vor dem Rennen seinen alten Ski, mit dem er fahren möchte, aus dem Lager stehlen und die Nacht mit seiner Freundin, die überraschend aus Wien angereist ist, verbringen lässt.
Als Schwachpunkt kann man diese Liebesgeschichte ansehen, mit der die Sportlergeschichte aufgefettet werden soll, aber wirklich übel nehmen kann man das Schmied nicht. Bewusst kein hochgetuntes und perfekt durchkomponiertes Event will "Klammer – Chasing the Line" sein, sondern soll eher ganz im Stil seines Protagonisten bodenständiges, aber von Herzen kommendes Kino bieten. Und das ist Schmied mit seiner unübersehbaren Leidenschaft für seinen Protagonisten und seine Leistungen auch gelungen.
Kritischen Blick darf man dabei freilich nicht erwarten. Förmlich als makellose Lichtgestalt erscheint der Olympiasieger, gefeiert wird die nationale Euphorie, während die Spannungen im Team und der problematische Charakter von Cheftrainer Kahr und auch die Konflikte mit dem Skihersteller nicht wirklich bohrend ausgelotet werden.
Aber mit seiner emphatischen Erzählweise, dem hohen Erzähltempo und einem Soundtrack, mit dem der Film immer wieder aufgepeppt wird, reißt Schmied doch mit, auch weil er die Dramaturgie der historischen Ereignisse vom Streit um den Loch-Ski über die Überlegenheit der Konkurrenten in den Trainingsläufen bis zu Klammers ungeliebter Startnummer 15 – damals die letzte der ersten Gruppe -, mit der er das Feld von hinten aufrollen musste, geschickt in den Film zu integrieren und mit fiktiven Momenten wie der in Realität wohl zu diesem Zeitpunkt nicht so stark präsenten Freundin zu steigern vermag. – Offen bleibt freilich, inwieweit ein Film, der so stark mit den Erinnerungen der Leute arbeitet, die die Olympia-Abfahrt von 1976 und die damalige Klammer-Hysterie direkt erlebt haben, auch die Nachgeborenen ansprechen kann.
Läuft derzeit in den österreichischen Kinos
Trailer zu "Klammer - Chasing the Line"
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