Karen O’Connor, Miri Navasky und Maeve O’Boyle zeichnen in ihrem Dokumentarfilm mit einer Fülle an Archivmaterial nicht nur die musikalische Karriere und das gesellschaftspolitische Engagement der 83-jährigen Joan Baez nach, sondern die legendäre Folksängerin lässt auch tief in ihr Privatleben und ihre lebenslangen psychischen Probleme blicken.
Programmatisch ist der Auftakt mit dem Song "Freedom for me", denn zunehmend wird sich in den folgenden 110 Minuten die Sehnsucht Joan Baez´ nach Befreiung von ihren schweren psychischen Problemen, die sie seit dem Jugendalter begleiten, herauskristallisieren.
Ganz dem vom kolumbianischen Literaturnobelpreisträger Gabriel Garcia Marquez übernommenen Vorspanninsert, dass jeder Mensch drei Leben habe, nämlich das öffentliche, das private und das geheime, bieten Karen O’Connor, die seit 1989 mit Joan Baez befreundet ist, Miri Navasky, Maeve O’Boyle …" Einblick in diese drei Leben. Wie sie die Zuschauer:innen in dieses Leben eintauchen lassen, wenn die Kamera die immer noch fitte gut 80-jährige Baez in ihrer Villa in Kalifornien in die Garage begleitet, in der in zahlreichen nach Jahren geordneten Kartons eine Fülle an Archivmaterial aus und zu ihrem Leben lagert, so wird am Ende mit dem Schließen des Garagentores der Rückblick abgeschlossen.
Eingestimmt wird man mit diesem Einstieg auch auf die Perspektive des Films. Auf Kommentare von Wegbegleiter:innen und Freund:inen von Joan Baez wird nämlich weitgehend verzichtet, fast nur sie selbst kommt zu Wort, bestimmt damit den Blick, weist aber auch selbst schon am Beginn darauf hin, dass Erinnerungen immer subjektiv sind.
Rückgrat des Films sind so ihre Erzählungen in ihrer Villa sowie Aufnahmen von ihrer Abschiedstournee im Jahr 2018. Ausgehend von diesem Rahmen erzählt das Regie-Trio mit einer Fülle an Archivmaterial chronologisch das Leben der Folk-Sängerin und Aktivistin nach.
Den glücklichen Familienszenen mit ihren Eltern und drei Schwestern am Beginn stehen dabei gegen Ende beklemmende Momente gegenüber, wenn die Frage von Missbrauch aufgeworfen wird und über Audiokassetten nicht nur die Familienmitglieder, sondern auch der Therapeut zu Wort kommt. Was in der Kindheit wirklich vorgefallen ist, bleibt dabei im Vagen, denn der Vater wies auch gegenüber dem Therapeuten stets alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurück.
Aber schon in den Erzählungen zu ihrer Kindheit berichtet die Tochter von Quäkern nicht nur, dass sie schon früh ein ausgeprägtes soziales Bewusstsein entwickelte, sondern auch von quälenden Stimmungsschwankungen und Panikattacken. Aber auch der musikalische Durchbruch als 17-Jährige mit ihren Auftritten im Club 47 in Cambridge, Massachusetts wird nicht ausgespart.
Bruchlos fließt dabei Persönliches wie das schwierige Verhältnis zu ihren beiden Schwestern, eine mehrjährige Beziehung zu einer Frau oder das berufliche und private Verhältnis zu Bob Dylan, der ihr das Herz gebrochen habe, bis zur Ehe mit dem Aktivisten David Harris mit ihrer musikalischen Karriere und ihrem gesellschaftspolitischen Engagement zusammen.
Während auf musikalischer Seite nur auf ihr 1975 erschienenes erfolgreichstes Album "Diamonds and Rust " etwas näher eingegangen wird, fließen auf politischer Ebene unweigerlich zentrale zeitgeschichtliche Ereignisse ein. Sie unterstützte nämlich die Bürgerrechtsbewegung ebenso entschlossen und kämpferisch wie den Protest gegen den Vietnamkrieg und setzte sich lebenslang für Gewaltlosigkeit ein. Eindrücklich vermittelt so der Film mit Martin Luther Kings Rede "I have a Dream" 1963 in Washington bis zum Protestmarsch in Montgomery 1965 und der Verhaftung ihres Ehemanns David Harris wegen Wehrdienstverweigerung die Stimmung der Zeit.
Beeindruckende Arbeit leistete das Regie-Trio mit der Montage des immensen – großteils privaten – Archivmaterials. Familienfilme aus der Kindheit, Konzertmitschnitte und Ausschnitte von politischen Aktionen, aber auch TV-Auftritte, von animierten Zeichnungen begleitete Tagebucheinträge und sehr persönliche Audiokassetten von Therapiesitzungen werden, unterstützt von aktuellen Aufnahmen, zu einer flüssigen und runden Erzählung verbunden.
Stimmig werden aber auch immer wieder Konzertauftritte, in denen Baez´ grandiose Stimme zur Geltung kommt, und die biographische Entwicklung eingebunden. Weder Information noch musikalischer Genuss kommen so zu kurz und bewegend bietet Baez, die die Filmemacherinnen sehr nah an sich heranlässt, in ihren sehr offenen und auch sich selbst nicht schonenden Erzählungen Einblick in ihre Zerrissenheit und die Belastungen durch die lebenslange psychische Krankheit.
Joan Baez – I Am a Noise
USA 2023
Regie: Karen O’Connor, Miri Navasky, Maeve O’Boyle
Dokumentarfilm mit: Joan Baez, Mimi Fariña, Bob Dylan, David Harris, Gabriel Harris
Länge: 113 min.
Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen.
TaSKino Feldkirch im Kino GUK: 4./5./8.2.
Spielboden Dornbirn: 6.2. + 20.2.
Trailer zu "Joan Baez - I Am a Noise"
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