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  • AutorenbildWalter Gasperi

In Liebe lassen - De son vivant

Aktualisiert: 23. Sept. 2023


Schauspieler Benjamin ist erst 40, aber unheilbar an Krebs erkrankt. Von einem großartigen Ensemble unterstützt, erzählt Emmanuelle Bercot feinfühlig und zurückhaltend nicht nur von der schwierigen Einsicht ins Unvermeidliche und vom langsamen Sterben, sondern auch und vor allem von der tröstenden Kraft einer Begleitung durch einen unglaublich empathischen Arzt.


Eine Begegnung mit dem New Yorker Onkologen Dr. Gabriel A. Sara, dem medizinischen Leiter der Abteilung für Chemotherapie am Mount Sinai West Hospita,l hat Emmanuelle Bercot zu ihrem Film inspiriert und Sara spielt auch die zentrale Rolle des Arztes Dr. Eddé. So mag es zwar ums Sterben gehen, doch mehr noch drückt Sara als Dr. Eddé mit seinem empathischen und einfühlsamen Umgang diesem Drama den Stempel auf. Problemlos besteht dabei der Laienschauspieler auch neben Größen wie Catherine Deneuve und Benoît Magimel und strahlt ein hohes Maß an Authentizität aus.


Kapitelüberschriften zu den vier Jahreszeiten von Sommer bis zum nächsten Frühjahr strukturieren "In Liebe lassen - De son vivant" und zumindest die ersten Kapitel setzen mit Sitzungen von Dr. Eddé und seinen Krankenpflegerinnen ein. Besprochen werden dabei beispielsweise Ohnmacht, Trauer und Wut darüber, dass ein Todkranker gerade dann gestorben ist, als seine Frau, die acht Stunden am Krankenbett saß, gegangen ist.


Schon hier wird die Empathie Eddés spürbar, wenn er betont, dass man akzeptieren müsse, dass der Sterbende den Zeitpunkt, zu dem er geht, eben selbst wählt. All die bedrückenden Gefühle seines Teams scheint Eddé aufzufangen und dann auch zu lösen, wenn er Gitarre spielt und Songs wie "Lean on Pete" oder "Bye bye life, Bye bye happiness" gesungen werden.


Der 40-jährige Benjamin (Benoît Magimel), der sich selbst als gescheiterter Schauspieler bezeichnet, hat seine Krankheit bisher verdrängt. Dr. Eddé macht ihm und dessen Mutter (Catherine Deneuve), die dieses Gespräch eingefädelt hat, aber von Anfang an klar, dass er ihm immer die Wahrheit sagen werde. Unmissverständlich erklärt er ihm, dass er Pankreas-Krebs im Stadium IV habe, dass er ihn nicht heilen, aber behandeln könne und mit einer Chemotherapie seine Lebensqualität verbessern könne.


Gespiegelt wird das Schmerzliche des baldigen Abschieds und die Angst vor dem Tod am Beginn auch in Schauspielszenen, in denen Benjamin junge SchauspielerInnen auf eine Aufnahmeprüfung am Konservatorium vorbereitet. Sukzessive wird aber die Krankheit Benjamins übermächtig und ein Arbeiten unmöglich machen.


Bercot spart den körperlichen Verfall ihres von Benoît Magimel bewegend verkörperten Protagonisten nicht aus. Doch nicht dieses Siechtum und schon gar nicht die medizinische Behandlung stehen im Zentrum, sondern ein Umgang mit dem Sterbenden, der ihm eine Aussöhnung mit sich selbst und einen ruhigen Tod ermöglichen.


So erkundigt sich Dr. Eddé auch nach Altlasten im Leben von Benjamin und fordert ihn auf den Schreibtisch des Lebens aufzuräumen. Verdrängt der Todkranke dies zunächst, so brechen doch schließlich sein Gefühl des Versagens und der Versäumnisse durch. Nicht intensiv habe er gelebt, niemanden habe er glücklich gemacht, keine Spuren hinterlasse er, klagt er gegenüber der Pflegerin Eugenie (Cécile de France).


Entbehrlich ist allerdings diese Figur, scheint nur geschaffen um Cécile de France eine Rolle zu geben. Denn unglaubwürdig, ja schräg ist, wie sich hier eine Beziehung zwischen dieser Pflegerin und dem Todkranken entwickelt und sie sich ihm auch körperlich nähert.


Sichtbar wird aber auch nicht nur ein verdrängter Konflikt mit der Helikopter-Mutter, sondern auch Schuldgefühle gegenüber einem Sohn, den er als noch nicht 20-Jähriger bei dessen Mutter zurückgelassen und nie mehr gesehen hat. Nach einem Anruf von Benjamins Mutter reist zwar dieser Sohn aus Australien an, doch auch er hat größte Probleme sich dem Vater, der ihn als Baby im Stich gelassen hat, zu stellen.


Wie auf die Pflegerin hätte man auch auf diese Figur und den damit verbundenen Konflikt verzichten können. Dem Kitsch nähert sich dieses Drama, das sonst angenehm unaufgeregt und ruhig inszeniert ist, in diesen Szenen. Auch beim Musikeinsatz übertreibt es die 54-jährige Französin nach zurückhaltendem Beginn zunehmend. Am stärksten sind die Szenen mit Dr. Eddé, die teilweise fast dokumentarischen Charakter haben.


Bestechend fällt der Blick der Regisseurin auch mit der Empathie Dr. Eddés und seines Teams zusammen: Das Bittere und Verzweifelte des Sterbens wird nicht ausgespart, aber durch die mitfühlende Begleitung, und schließlich das Akzeptieren des Unausweichlichen durch den Sterbenden ebenso wie durch die Mutter, und das Aussöhnen mit der Umwelt mit den Worten "Ich verzeihe dir, ich liebe dich, ich danke dir, Auf Wiedersehen" scheint ein versöhnlicher und ruhiger Abschied möglich.


Über die Erzählung hinaus wird "In Liebe lassen - De son vivant" dabei freilich auch zu einer Aufforderung an die Medizin zu einem Umgang mit den Patient*innen, wie er von Dr. Eddé oder eben seinem realen Alter Ego Dr. Sara vorgelebt wird. So beglückend freilich sein Einfühlungsvermögen in die Sterbenden bzw. in Benjamin im Speziellen ist, so darf man sich doch fragen, ob ein Arzt im Krankenhausalltag wirklich diese Zeit für einen Patienten aufbringt und aufbringen kann: Schön wäre es sicher, scheint aber doch etwas utopisch.


De son vivant - In Liebe lassen Frankreich / Belgien 2021 Regie: Emmanuelle Bercot mit: Catherine Deneuve, Benoît Magimel, Cécile de France, Gabriel A. Sara Länge: 122 min.



Trailer zu "De son vivant - In Liebe lassen"



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