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  • AutorenbildWalter Gasperi

Im Westen nichts Neues (2022)


Nach zwei US-Verfilmungen legt Edward Berger die erste deutsche Adaption von Erich Maria Remarques klassischem Antikriegsroman vor: Mit großer immersiver Kraft schildert er hautnah das brutale Krepieren junger Männer an der Westfront des Ersten Weltkriegs, verleiht seinem von Deutschland für die Oscars eingereichten Film aber mit zwei Parallelhandlungen auch einen aufdringlichen didaktischen Zug.


Nur zwei Jahre nach Erscheinen von Erich Maria Remarques Antikriegsroman "Im Westen nichts Neues" im Jahre 1928 wurde dieser in Hollywood von Lewis Milestone erstmals verfilmt. Mit seiner schonungslos realistischen Schilderung des Stellungskriegs des Ersten Weltkriegs (--> Der Erste Weltkrieg im Spielfilm) und des Sterbens junger Soldaten gelang dem Hollywood-Regisseur ein zeitloses Meisterwerk des Antikriegsfilms, das immer noch packt.


Gleichzeitig führte die pazifistische Haltung und die Kritik am Kasernendrill auch zu Protesten, speziell von rechten Seiten. In der ausgehenden Weimarer Republik wurden Vorstellungen von Nazis gestört, bis der Film zunächst gekürzt, dann verboten wurde. Dieses Schicksal erlitt "Im Westen nichts Neues" aber auch in anderen Ländern. – Eine neue, umfangreiche DVD/Blu-ray-Ausgabe des Klassikers bei Capelight Pictures bietet auch Einblick in die wechselvolle Rezeption dieses Klassikers.


Wenig Beachtung fand dagegen Delbert Manns 1979 entstandenes Remake. Nun folgt mit Edward Bergers Netflix-Produktion erstmals eine deutsche Adaption des Stoffes. Nur kurz und in eher wenigen Kinos ist diese vor dem Streaming-Start am 28. Oktober auf großer Leinwand zu sehen, wird aber immerhin von Deutschland für die Oscars 2023 eingereicht.


Die immersive Kraft, auf die Berger setzt, kennzeichnet schon eine gegenüber dem Roman ergänzte Pre-Title-Sequenz. Den Eindruck von Ruhe und einer idyllischen Natur erwecken die ersten Totalen des britischen Kameramanns James Friend, bis eine Vogelperspektive den Blick auf ein von toten Soldaten übersätes Schlachtfeld öffnet.


Den unberührten Wäldern und Wiesen steht die totale Zerstörung gegenüber. Nicht nur Menschen werden massenweise getötet, sondern auch die Natur wird vernichtet. Atmosphärisch dicht evoziert Berger die Vorhölle des Stellungskriegs in Nordfrankreich, bei dem beim Sturmangriff unter den jungen Männern auch Heinrich im Maschinengewehrfeuer der Franzosen fällt. Wie seine Uniform so werden auch die Uniformen der anderen Gefallenen gewaschen und geflickt und an die nachkommenden Soldaten verteilt. Kein Zweifel besteht damit, dass sich bei diesem Kreislauf auch das Sterben fortsetzen wird.


Unverständlicherweise ungebrochen scheint die Kriegsbegeisterung im Frühjahr 1917, also drei Jahre nach Kriegsbeginn, bei der norddeutschen Jugend. Der 17-jährige Paul Bäumer (Felix Kammerer) und seine Freunde melden sich voll Begeisterung für den Kriegsdienst, Paul hat dafür sogar die nötige Unterschrift der Eltern gefälscht. Gesteigert wird ihre Begeisterung durch den Schuldirektor, der den Kampf für Gott, Kaiser und Vaterland leidenschaftlich propagiert.


Doch schon die ersten Tage an der Front bringen Ernüchterung und sukzessive werden die Freunde dezimiert. Mit starkem Sounddesign, einer beweglichen Kamera, die den Soldaten in Parallelfahrt beim Sturmangriff oder durch die Schützengräben folgt und starker Ausstattung lässt Berger das Publikum dicht in das Grauen des Stellungskriegs eintauchen.


Permanente Anspannung und Angst werden hier ebenso spürbar, wie Hunger und Schmutz, aber auch die Sehnsucht nach Frieden oder einem Mädchen. Eindringlich wird mit diesem Matsch und Schlamm, den Granattrichtern und der verwüsteten Landschaft sowie der Reduktion der Farbpalette auf Graublau, aus der nur das Rot des Blutes und später der Flammenwerfer heraussticht, diese apokalyptische Welt vermittelt.


Einerseits folgt Berger dabei in der Schilderung des Stellungskriegs Remarque, fügt aber auch Elemente hinzu, um ein möglichst umfassendes Bild der Neuartigkeit dieses "modernen Kriegs" zu vermitteln. So kommen zu Sturmangriff, Granateinschlägen, Maschinengewehrfeuer und Gaskrieg schließlich auch ein feindlicher Angriff mit Panzern und Feuerwerfern.


Aber auch markante Streichungen wurden vorgenommen. Berger verzichtet nämlich nicht nur auf die Schilderung des Heimaturlaubs Pauls, sondern auch auf den militärischen Drill auf dem Kasernenhof und die Figur des sadistischen Ausbilders Himmelstoß, der im Militär eine Macht ausspielen kann, die er im zivilen Leben nie hatte.


Bezeichnend ist gerade die Kürzung dieser Szenen, die aus Milestones Erstverfilmung immer wieder in verschiedenen Ländern herausgeschnitten wurden: Intensiv will Berger zwar das Grauen des Krieges schildern, aber Kritik an militärischem Drill und autoritären Strukturen soll nicht geübt werden.


Ergänzt wurden dagegen zwei Parallelhandlungen, die "Im Westen nichts Neues" einen aufdringlichen und plakativen didaktischen Zug verleihen. Denn die Handlung springt nicht nur rasch vom Frühjahr 1917 in den Herbst 1918, sondern auch immer wieder vom Stellungskrieg zu den Waffenstillstandsbemühungen unter der Leitung des liberalen Politikers Matthias Erzberger (Daniel Brühl). Dabei werden nicht nur den bedrückenden Bedingungen in Schützengraben und Schlachtfeld die sauberen Uniformen und Anzüge der Verhandler in einem Waggon bei Compiègne gegenübergestellt, sondern im harten französischen Diktat werden auch schon die Wurzeln für weitere Feindschaft und den nächsten Krieg angedeutet.


Eine noch plakativere Kontrastfigur zu den einfachen Soldaten ist General Friedrich (Devid Striesow), der in einem französischen Schloss diniert und Essensreste seinem Hund vorwirft, während es seinen Soldaten am nötigsten fehlt. Hier übertreibt es Berger doch deutlich mit der Dramatisierung, wenn er diesen General noch wenige Stunden vor Eintreten des schon beschlossenen Waffenstillstands in einen letzten Angriff schickt.


Ganz auf den Einsatz im Schulunterricht abgestimmt wirken diese belehrenden Momente und beeinträchtigen die Wirkung dieses Films, der andererseits mit seinem schonungslosen Realismus packend und erschütternd das Grauen des Krieges vermittelt. – Das gelang allerdings auch schon Lewis Milestone vor mehr als 90 Jahren. Offen bleibt somit auch die Notwendigkeit dieser Neuverfilmung, denn mit dem Original kann dieses Remake trotz solider Inszenierung und immersiver Kraft letztlich nicht mithalten.


Im Westen nichts Neues Deutschland / USA 2022 Regie: Edward Berger mit: Felix Kammerer, Albrecht Schuch, Moritz Klaus, Aaron Hilmer, Edin Hasanovic, Daniel Brühl, Adrian Grünewald Länge: 147 min.


Läuft derzeit in einigen Kinos, z.B. im Skino Schaan und ab 28.10. auf Netflix.


Trailer zu "Im Westen nichts Neues"



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