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  • AutorenbildWalter Gasperi

Im Kino: Los Lobos


Eine junge alleinerziehende Mexikanerin versucht mit ihren beiden kleinen Söhnen in den USA ein neues Leben zu beginnen, doch der Traum von Disneyland ist fern. – Ganz auf Augenhöhe mit den ProtagonistInnen und genauem Blick fürs Milieu erzählt Samuel Kishi Leopo ungeschminkt, lässt aber bei aller Bitterkeit auch leichte und hoffnungsfrohe Momente nicht zu kurz kommen.


"Die Wölfe" nennt Lucia (Martha Reyes Arias) ihren achtjährigen Sohn Max und dessen fünfjährigen Bruder Leo. Die beiden Kids sind aber nicht nur Fans der fliegenden Ninja-Wölfe, sondern müssen selbst bald Kräfte und Stärke entwickeln, die weit über den kindlichen liegen.


Unvermittelt setzt "Los Lobos", der unter anderem 2020 bei der Berlinale in der Sektion Generation Kplus mit dem Großen Preis der Internationalen Jury und dem Friedensfilmpreis ausgezeichnet wurde, mit einer Busfahrt von Mexiko über die Grenze ins in New Mexico gelegene Albuquerque ein. Die Blicke, die Kameramann Octavio Arauz dabei durch die Fenster des Busses auf die öde Landschaft öffnet, werden sich später in der neuen Heimat wiederholen.


Auch dort wird Arauz in Parallelfahrten immer wieder die uniforme Tristesse an den Ausfallsstraßen der rasant wachsenden, 500.000 Einwohner zählenden Stadt mit Tankstellen, Shops und Diners einfangen, aber auch den heruntergekommenen Wohnkomplex, in dem Lucia nach Zögern und Besichtigung wenig erbaulicher Alternativen ein verdrecktes Appartement von einem älteren chinesischen Ehepaar mietet. – Ein Unort ist dies, wie die Motelanlage und deren Umfeld in Sean Bakers "The Florida Project", in dem die Kinder auch sich selbst überlassen waren.


Wieso Lucia Mexiko verlassen hat lässt Samuel Kishi Leopo, der als Fünfjähriger selbst mit seiner Mutter und seinem dreijährigen Bruder von Mexiko in die USA emigrierte, offen und auch, was mit Lucias Ehemann passierte, wird mehr angedeutet als ausformuliert. Die beiden Kids jedoch träumen von Anfang an von einem Besuch Disneylands und Lucia verspricht ihnen auch diese Reise, wenn sie nur fleißig in der Wohnung Englisch lernen, während sie mit diversen Jobs den Lebensunterhalt zu verdienen versucht.


Weitgehend in der Wohnung, die Max und Leo während Lucias Abwesenheit keinesfalls verlassen dürfen, und auf Augenhöhe mit den von den beiden Brüdern Maximiliano Nájar Márquez und Leonardo Nájar Márquez famos gespielten Kindern bleibt Kishi Leopo. Vertreiben sie sich zunächst mit Fußball oder unerlaubter Bemalung der Wände die Zeit, hören eine Kassette mit einer Aufzeichnung des Großvaters an, die die Erinnerung an ihre Heimat wach hält, oder lernen Englisch, wächst langsam doch, gesteigert durch Blicke durch das Fenster der Wunsch, die Enge zu verlassen und mit Gleichaltrigen zu spielen.


Die Freude über die neuen Bekanntschaften kippt aber rasch ins Gegenteil, als sie diese Jugendlichen in ihre Wohnung lassen, andererseits beginnt sich die chinesische Vermieterin vor allem um den kleinen Leo zu kümmern und ihn zu bekochen.


Einfach und klein gehalten ist die Geschichte. Wie Hirokazu Kore-eda im teilweise verwandten "Nobody Knows" verzichtet Kishi Leopo auf Dramatisierung und beschränkt sich auf Alltägliches. Weitgehend kommt er dabei mit drei SchauspielerInnen aus, doch durch den genauen und empathischen Blick auf seine ProtagonistInnen und sein Gespür für die Nebenfiguren und das Milieu gelingt dem 37-Jährigen ein atmosphärisch dichtes und bewegendes Porträt eines Lebens am Rande der Glücksversprechungen der US-amerikanischen Gesellschaft. Prägnante Bilder für diesen Widerspruch findet Kishi Leopo nicht nur in der Kontrastierung von Disneyland und Lebensrealität, sondern auch wenn zwischen den riesigen Gängen einer Lagerhalle im Hintergrund markant die US-Flagge hängt.


Doch so realistisch und ungeschminkt auch der Blick ist, so zornig die beiden Kinder auch darauf reagieren, als ihnen die Mutter erklärt, dass aus finanziellen Gründen doch keine Reise nach Disneyland möglich ist, so hoffnungsvoll und leicht ist "Los Lobos" dazwischen auch immer wieder und beschwört das Glück der emotionalen Bindung dieses Trios. Da braucht es am Ende dann auch gar nicht den großen Freizeitpark in Los Angeles, sondern das örtliche Kiddieland reicht völlig aus, um einen unbeschwerten Tag zu erleben, der einerseits der Mutter Kraft geben wird, wieder eine harte Arbeitswoche in einer Großwäscherei und als Reinigungskraft zu überstehen, und der andererseits die Lebenslust und Lebensfreude der Kinder wieder stärken wird.


Läuft derzeit in den Schweizer Kinos - z.B. im Kinok St. Gallen und Skino Schaan


Trailer zu "Los Lobos"




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