Selbstreflexiv, verspielt und wehmütig: Nanni Moretti reflektiert in seiner Komödie leichthändig über das Kino und den italienischen Kommunismus und lässt sein von ihm selbst gespieltes Alter Ego auch mit persönlichen Problemen kämpfen.
Mit großen roten Lettern malen ein paar Männer, die sich nachts heimlich von einer Brücke abseilen, "Il sol dell´avvenire" ("Die Sonne der Zukunft") auf die Brückenpfeiler. Rasch entpuppt sich diese Szene aber als ein Teil des Films, den der etwa 70-jährige Giovanni (Nanni Moretti) dreht.
Nicht nur, dass dieser Regisseur von Nanni Moretti selbst gespielt wird, verleiht diesem Spielfilm autobiographischem Charakter, sondern auch dass sich sein Protagonist Giovanni in seinem Film mit dem italienischen Kommunismus auseinandersetzen will.
Ganz bei sich ist der italienische Altmeister ("La stanza del figlio" – "Das Zimmer meines Sohnes", 2001) damit, denn vor allem seine frühen Filme wie "Io sono un autarchico " ("Ich bin ein Autarkist", 1976), "Palombella rossa" ("Wasserball und Kommunismus", 1989) oder "Caro Diario" ("Liebes Tagebuch", 1993), aber auch "Mia Madre" (2015) waren stark autobiographisch geprägt und immer wieder spielte dabei auch der italienische Kommunismus eine wichtige Rolle.
Giovanni will nun einen historischen Film über die Haltung der KPI während der sowjetischen Niederschlagung des Ungarnaufstands 1956 drehen. Dass sich die Partei damals nicht von der Sowjetunion distanzierte, will der Filmemacher kritisieren, muss aber auch erkennen, dass sich die Zeiten geändert haben. Denn jüngeren Mitarbeitern ist überhaupt nicht mehr bewusst, dass die KPI in der Nachkriegszeit bis zum Zerfall der Sowjetunion in Italien eine wichtige Rolle spielte.
Während es Giovanni, um die politische Botschaft geht, möchte zudem seine Hauptdarstellerin lieber das Drehbuch ändern und eine Liebesgeschichte zu einem Redakteur der kommunistischen Parteizeitung ins Zentrum rücken. Aber auch Giovanni beginnt in seinem Film die realen geschichtlichen Ereignisse umzuschreiben, denn vielleicht ist es ja doch besser eine Utopie zu beschwören, als Pessimismus zu verbreiten.
Dazu bietet diese Geschichte einer Filmproduktion, mit der sich Moretti auf den Spuren von Truffauts "Eine amerikanische Nacht" bewegt, Moretti aber auch die Möglichkeit, die schwierigen Produktionsbedingungen anzuschneiden. Begeistert zeigt sich zwar der französische Produzent (Mathieu Amalric) von Giovannis Projekt, doch als dieser vor dem Bankrott steht, droht auch dem Film das Aus.
Netflix zeigt zwar Interesse, doch Giovanni will dieses Angebot nicht annehmen. In einer hinreißenden Szene zieht er über den Streaming-Giganten her, dessen Vertreter mantraartig betonen, dass ihre Filme und Sendungen in 190 Ländern ausgestrahlt werden, die aber auch genaue Vorgaben hinsichtlich des Aufbaus der Filme geben. Typisch für die heutige Zeit scheint auch, dass schließlich potentielle koreanische Finanziers auftauchen.
Eine weitere Ebene kommt mit Giovannis Frau Paola (Margherita Buy) ins Spiel, die die Filme ihres Mannes, aber auch den eines Jungregisseurs produziert, der offensichtlich Quentin Tarantino nacheifert. Auch hier gelingt Moretti eine großartige Szene, wenn sein Alter Ego Giovanni am Set dieses Newcomers in eine Hinrichtungsszene unter Gangstern eingreift. Er befragt dazu nicht nur den realen Architekten Renzo Piano und eine Mathematikerin zur Gewaltdarstellung in Filmen, sondern versucht per Handy auch Martin Scorsese zu erreichen und stellt selbst mit detaillierter Schilderung die Mordszene in Kieslowskis "Ein kurzer Film übers Töten" der Gewaltverherrlichung in diesem Mafiafilm gegenüber.
So wie "Il sol dell´avvenire" vom Verschwinden des Kommunismus erzählt, so erzählt er auch vom Wandel des Kinos und erinnert mit zahlreichen Zitaten von Fellinis "La dolce vita" über Jacques Demys "Lola" und Paolo und Vittorio Tavianis " Der Aufstand des Giulio Manieri" bis zu Francis Ford Coppolas "Apocalypse Now" an große Filme der Filmgeschichte.
Und wie eine Schwimmszene in einem Hallenbad an Morettis frühe Leidenschaft für Wasserball und seinen Film " Palombella rossa" ("Wasserball und Kommunismus", 1989) erinnert, so wecken die E-Scooter-Fahrten durch Rom unweigerlich Erinnerungen an die Vespa-Fahrten in "Caro Diario".
Im Wandel befindet sich aber auch die Beziehung Giovannis zu seiner Ehefrau Paolo. Seit längerem besucht sie nämlich schon einen Psychoanalytiker. Nach 40 gemeinsamen Jahren möchte sie sich von Giovanni trennen, hat bislang aber noch nicht den richtigen Zeitpunkt gefunden, es ihm zu sagen.
Mehr von einzelnen Szenen und Zitaten als von einer stringenten Handlung lebt so diese verspielte Komödie, die einzig durch Morettis Alter Ego Giovanni, der in jeder Szene präsent ist, zusammengehalten wird. Bitter könnte der Befund des Films angesichts der realen Verhältnisse sein, doch diese Rückschau bleibt immer leicht, warmherzig und versöhnlich.
Das liegt nicht nur an den in warme Farben und warmes Licht getauchten Bilder von Kameramann Michele D´Attanasio, sondern auch an dessen frei bewegter Kamera, die sich bald in die Höhe erhebt, bald in langer Parallelfahrt Giovanni durch das Set des Studios folgt oder förmlich mit dem singenden Filmteam tanzt. Wenig fokussiert ist "Il sol dell´avvenire" so zwar in der ausufernden Erzählweise, aber ansteckend und berührend wird diese Komödie durch die in jeder Szene spürbare persönliche Leidenschaft und Menschenliebe Morettis.
Il sol dell´avvenire
Italien / Frankreich 2023
Regie: Nanni Moretti mit: Nanni Moretti, Margherita Buy, Mathieu Amalric, Silvio Orlando, Barbora Bobulova, Jerzy Stuhr, Valentina Romani, Elena Lietti, Benjamin Stender, Flavio Furno Länge: 95 min.
Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen
Trailer zu ""Il sol dell´avvenire"
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