Heretic
- Walter Gasperi
- 26. Dez. 2024
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 15. Jan.

Der Besuch bei einem scheinbaren freundlichen Herrn entwickelt sich für zwei junge mormonische Missionarinnen zunehmend zu einem Horrortrip: Scott Beck und Bryan Woods entwickeln ein dialoglastiges, aber dichtes und wendungsreiches, von bösem Witz durchzogenes Kammerspiel, in dem religiöse Überzeugungen und Regeln hinterfragt werden.
Schwester Barnes (Sophie Thatcher) und Schwester Paxton (Chloe East) sollen in einer Kleinstadt – wohl in Utah – die Bevölkerung missionieren. Nicht ganz zu ihrem züchtigen Auftreten passen ihre Gespräche über Sex am Beginn, auch Porno-Videos scheinen sie sich hin und wieder anzuschauen, bestreiten dies aber der anderen gegenüber. Wie sehr die Religion sie kontrolliert, zeigt sich, wenn andere Teenager sich einen Scherz mit ihrer "magischen Unterwäsche" erlauben, denn auch diese wird wohl von der Religion vorgegeben.
Ihr nächster Besuch gilt Mr. Reed (Hugh Grant), der in einem abgelegenen Häuschen wohnt. Der freundliche Herr öffnet die Tür, bittet sie angesichts des Regens herein, doch erst als er bestätigt, dass mit seiner Gattin auch eine Frau anwesend sei, betreten die beiden jungen Frauen das Haus. Er versichert zudem, dass seine Frau Kuchen gebacken habe, doch sie selbst ist nirgends zu sehen. Immerhin verbreitet sich aber der Duft von Blaubeeren und auch die alten Blümchentapeten und sein karierter Pullover sorgen für eine harmlose, kleinbürgerlich-biedere 1970er-Jahre Stimmung.
Mr. Reed zeigt sich an Religion sehr interessiert, stellt aber auch zunehmend kritische Fragen. Vom Spiel Monopoly, das er als eine Kopie eines früheren Spiels vorstellt, das sich auf dem Markt nicht durchsetzte, über den berühmten Hollies-Hit "The Air that I Breathe" schlägt er den Bogen zu den Religionen. Er spricht die Parallelen von Thora, Bibel und Koran sowie der Schrift der Mormonen an und weist sowohl darauf hin, dass diese auf deutlich älteren anderen Werken aufbauen, als auch, dass es zahlreiche Religionsgründer mit dem 25. Dezember als Geburtstag gibt.
Mit seinem sowohl enzyklopädischen als auch popkulturellen Wissen, mit dem er den antiken Mithraskult ebenso wie die Popsängerin Lana Del Rey ins Spiel bringt, sorgt er bei den Zuschauer:innen für Schmunzeln oder Gelächter, während er die beiden Missionarinnen zunehmend irritiert. Immer bleibt er aber freundlich und kultiviert, offenbart hinter dem äußeren Schein und der Höflichkeit aber doch zunehmend diabolische Abgründe, die so gar nicht zu dem britischen RomCom-Star Hugh Grant passen.
Bald möchten die beiden Missionarinnen gehen, müssen aber feststellen, dass die Tür sich öffnen lässt. Ausgang sei nur durch die Hintertür möglich, da die Vordertür mittels Zeitschloss zu sei und sich erst wieder am nächsten Tag öffnen lasse. Zwei Türen stellt ihnen Mr. Reed zur Wahl, beschriftet die eine mit "Glaube", die andere mit "Unglaube" – beide führen aber in einen Keller….
Das Home-Invasion-Movie stellen Scott Beck und Bryan Woods auf den Kopf, wenn nicht die Eindringlinge Angst verbreiten, sondern der Bewohner die Besucherinnen terrorisiert. An "Hänsel und Gretel" kann man hier denken. Klassische Elemente sind dabei der Fluchtgedanke ebenso wie der Abstieg in den düsteren Keller.
Lange lebt "Heretic" dabei nicht von äußerer Handlung, sondern von den Dialogen. Genüsslich spielt Hugh Grant diesen Mr. Reed, dessen dunkle Seite zunehmend deutlicher zu Tage tritt. Bestechend gelingt es dem Regie-Duo aber auch zwei unterschiedliche Charaktere bei den Missionarinnen zu zeichnen, wenn der entschlossenen Schwester Barnes die – zumindest am Beginn - zurückhaltende und ängstliche Schwester Paxton gegenübergestellt wird.
Obwohl äußerlich wenig passiert, entwickelt "Heretic" so durch die weitgehende Konzentration auf die drei Charaktere, das Haus als einzigem Schauplatz und das Erzählen quasi in Echtzeit große Dichte. Stringent wird die Geschichte entwickelt, auch eine Backstory zu Mr. Reed bleibt ausgespart, nur kurz wird die Entwicklung der beiden Frauen zu Missionarinnen skizziert.
Geschickt drehen Beck und Woods dabei kontinuierlich weiter an der Schraube. Vermeintliche Unstimmigkeiten wie die verschwundenen Fahrräder lösen sich auf und düsterer und blutiger wird der Film mit dem Abtauchen in den Keller, arbeitet dabei aber auch zunehmend mit altbekannten und ziemlich ausgelaugten Mustern des Horrorgenres.
Über die ebenso minimalistische wie spannende Horrorunterhaltung hinaus entwickelt sich "Heretic" aber auch zu einer Auseinandersetzung mit der Religion. Bissig wird aufgezeigt, wie Religionen streben, die Menschen – bis hin zur Kleidung – zu kontrollieren und mit der Drohung von ewiger Verdammnis bzw. dem Versprechen des Himmels in Kadavergehorsam zu halten.
So spielen die beiden Missionarinnen – eine Parallele zu "Speak no Evil" – aus Freundlichkeit und Höflichkeit das Spiel von Mr. Reed viel zu lange mit, anstatt frühzeitig Stopp zu sagen und sich ihm zu entziehen. Raffiniert entwickelt sich "Heretic" dabei in der Aufdeckung der Anpassungsmechanismen von Religionen zu einer Aufforderung nicht nur religiöse, sondern auch gesellschaftliche und staatliche Regeln zu hinterfragen und nicht alles mit sich machen zu lassen, sondern Widerstand zu leisten.
Heretic USA 2024 Regie: Scott Beck und Bryan Woods mit: Hugh Grant, Sophie Thatcher, Chloe East Länge: 110 min.
Läuft jetzt in den Kinos, z.B. im Cineplexx Hohenems.
Trailer zu "Heretic"
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