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AutorenbildWalter Gasperi

Here We Are


Der autistische Uri ist fast erwachsen. Während der Vater sich weiterhin um ihn kümmern will, glaubt die Mutter, dass es Zeit für eine Lösung ist und Uri in eine Betreuungsanstalt übersiedeln sollte. – Dem Israeli Nir Bergman gelang dank empathischer, von leisem Humor durchzogener Erzählweise und zwei herausragenden Hauptdarstellern eine berührende Vater-Sohn-Geschichte.


Wenn der Mittfünfziger Ahron (Shai Avivi) und sein fast erwachsener autistischer Sohn Uri (Noam Imber) mit dem Zug unterwegs sind, schaut Uri auf seinem Tablet immer Charlie Chaplins "The Kid". Immer wieder wird dieses Stummfilmmeisterwerk zitiert, in dem sich Chaplins Tramp liebevoll um ein Findelkind kümmert. Dessen Musik begleitet auch den Beginn von "Here We Are".


Wie in "The Kid" der Tramp richtet auch Ahron sein ganz Leben auf seinen Sohn aus. Seinen Beruf als erfolgreicher Grafiker, dessen Illustrationen sogar im "New Yorker" veröffentlicht wurden, hat er darüber ebenso verloren oder aufgegeben wie verwandtschaftliche Beziehungen durch diese Fokussierung zerbrochen sind. Auch von seiner Frau lebt er getrennt, allein kümmert er sich um seinen Sohn.


Ganz auf die Welt Uris lässt sich der Vater ein, macht mit ihm vorsichtige. große Schritte auf der Straße, um keine Schnecken zu zertreten, obwohl er Uri mehrfach erklärt hat, dass es im Sommer keine Schnecken gibt, kocht für ihn immer Pasta und bestärkt ihn in der Sorge um die beiden Goldfische Yoni und Yaro.


Ganz auf Augenhöhe mit Vater und Sohn und nah an ihnen dran bleibt der 1969 in Haifa geborene Nir Bergman. Keine Schauspieler meint man hier zu sehen, sondern echt und wie aus dem Leben gegriffen wirken diese Charaktere. Im empathischen Blick auf dieses Duo und im großartigen Spiel von Shai Avivi und Noam Imber, die auch perfekt harmonieren, berührt "Here We Are" so von der ersten Szene an. Man spürt sogleich die grenzenlose Liebe des Vaters und die Schwierigkeiten des Sohnes im alltäglichen Leben. Leicht könnte das in Sentimentalität abgleiten, doch dies verhindert Bergman mit sanftem Humor.


Bald stellt sich aber auch die Frage, ob Ahron denn nicht übersorglich ist und es nicht Zeit ist, Uri auf ein selbstständigeres Leben vorzubereiten. Nachdem schon mehrere Aufnahmen in Betreuungseinrichtungen gescheitert sind, hat die Mutter ein neues Heim gefunden, in dem Uri in einer Wohngemeinschaft leben und an Workshops teilnehmen soll. Ahron stellt sich aber dagegen quer, glaubt nicht, dass Uri dafür schon bereit ist. So liefert er ihn nicht wie vereinbart ab, sondern begibt sich mit ihm auf eine Reise, die Vater und Sohn nicht nur quer durch Israel, sondern auch zu einer Studienfreundin und Ahrons Bruder führt.


Einfach gehalten ist "Here We Are" mit der geradlinigen Erzählweise und der Fokussierung auf Vater und Sohn, vermittelt aber gerade dadurch einen tiefen Einblick in die Beziehung, in das Spannungsfeld von Liebe, Fürsorge und Abhängigkeit. Sukzessive wird nämlich klar, dass Ahron auch ziemlich stur ist und keine andere Meinung gelten lässt und dass nicht nur Uri von ihm abhängig ist, sondern er auch von seinem Sohn. Die Fürsorge um ihn scheint zu seinem einzigen Lebenssinn geworden zu sein und indem er die Außenwelt von ihm abschottet, scheint er auch dessen Entwicklung im Weg zu stehen.


So wandelt sich im Lauf des Films auch der Blick auf die Mutter, die zunächst als gefühlskalt erscheint. Sichtbar wird, dass sie vielleicht mit dem Bemühen Uri in einem Heim unterzubringen mehr an der Entwicklung ihres Sohnes interessiert ist als der überfürsorgliche Vater, der jede Abnabelung ablehnt und erst erkennen muss, dass Uri durchaus auch ohne ihn auskommt.


So geht es dann im Kern des Drehbuchs der New Yorkerin Dana Idisis, die hier auch die Beziehung ihres autistischen Bruders zu seinem Vater verarbeitete, nicht um Autismus, sondern grundsätzlich um Eltern-Kind-Beziehungen. Der Liebe und Fürsorge auf der einen Seite steht auf der anderen Seite die Entwicklung von Selbstständigkeit gegenüber. – Sehr warmherzig und voll Menschenliebe erzählt Bergman, dass diese langsame Lösung der Bindung und dieses Loslassen oft mehr von den Eltern verlangt als von den Kindern.


Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen


Trailer zu "Here We Are"



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