Der Sudanese Mohammed Kordofani verknüpft in seinem Langfilmdebüt die Entwicklung zur Abspaltung des Südsudans im Jahr 2011 mit dem Schicksal zweier unterschiedlicher Frauen und deckt nicht nur ethnisch-religiöse Spannungen und Rassismus, sondern auch die gesellschaftliche Kluft auf: Ein packendes Kinostück, das den Blick auf ein in Europa kaum beachtetes Land lenkt.
Die Kunst von Mohammed Kordofani besteht darin, dass er kein thesenhaftes Polit-Kino bietet, sondern das Politische und Gesellschaftliche ganz aus einer privaten Geschichte heraus entwickelt. Nachrichten informieren zwar, dass nach einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg nun im Jahr 2005 ein Friedensabkommen geschlossen wurde, das dem Südsudan Autonomie und nach einer sechsjährigen Übergangsphase eine Abstimmung über die Unabhängigkeit zusichert, doch der Fokus liegt auf dem Alltag zweier in Khartum lebender Frauen.
Auf der einen Seite steht die der nordsudanesischen Oberschicht angehörige Mona (Eiman Yusif), die mit ihrem Mann Akram (Nazar Gomaa) in einer geräumigen Villa wohnt, auf der anderen Seite die Südsudanesin Julia (Siran Riak), die mit Mann und Sohn Daniel in einer Mietwohnung lebt, aus der sie mit Bekanntwerden des Abkommens vom nordsudanesischen Eigentümer vertrieben wird. Unterschlupf findet die Familie vorübergehend bei Verwandten in einer Zeltsiedlung.
Kordofani führt in Parallelmontage nicht nur in die unterschiedlichen Lebensmilieus ein, sondern bietet auch Einblick in die patriarchale Ehe Monas, die auf Druck ihres Mannes ihren Beruf als Sängerin aufgehen musste. Im Käfig mit Wellensittichen, den Akram ihr schenkt, findet der 38-jährige Regisseur ein prägnantes Bild für Monas Gefangenschaft in einer unglücklichen Ehe. Gleichzeitig vermittelt "Goodbye Julia" mit wütenden Demonstranten, die vor der Villa des Paares auch ein Auto in Brand stecken, aber auch ein intensives Bild von der durch das Abkommen aufgeheizten Stimmung.
Zusammengeführt werden die beiden Erzählstränge, als Akram Julias Mann erschießt, als dieser Mona wegen eines Unfalls zur Rede stellen will. Wie hier anschließend das Tötungsdelikt durch Beziehungen zur Polizei und Schmiergeldzahlung vertuscht wird, deckt wiederum das soziale Gefälle auf, doch langsam kommen bei Mona Schuldgefühle auf.
Sie macht Julia und ihren Sohn ausfindig, stellt sie bei sich als Haushaltshilfe ein und gibt ihnen auch eine Unterkunft, als die Zeltsiedlung von der Polizei abgefackelt wird. Da mag Mona auch Nordsudanesin und Muslima und Julia Südsudanesin und Christin sein, so kommen sich die beiden Frauen doch langsam näher.
Stets wird aber die Beziehung vom Geheimnis Monas überlagert und nach einem Zeitsprung von sechs Jahren zur Zeit des Referendums im Jahr 2011 kommt schließlich Licht in die Sache. Wie sich der Südsudan mit der überwältigenden Mehrheit von 99% Zustimmung für die Unabhängigkeit vom Norden entscheidet, so löst sich schließlich auch Julia von Mona und wird ein neues Leben im Süden beginnen. Andererseits wird aber auch Mona eine persönliche Entscheidung treffen.
Nach zupackendem und mit Thrillerelementen durchsetztem Beginn entwickelt sich "Goodbye Julia" so zu einem Melodram, das, konzentriert auf Mona und ihren Mann sowie auf Julia und ihren Sohn, vielschichtig die Lage und den Charakter der beiden gegensätzlichen Frauen ausleuchtet und dabei nie die politische Situation aus den Augen verliert. Vor allem Mona wird dabei als ambivalente Figur gezeichnet, die zwar Schuldgefühle plagen, die aber nicht zu ihrer Tat stehen kann und auch ihren Mann immer wieder anlügt, da sie auf ihr Luxusleben nicht verzichten will, aber doch lieber Sängerin wäre.
Aber auch Julia bekommt, speziell von den finalen Enthüllungen her, einen ambivalenten Charakter, erscheint nicht nur als Ausgebeutete und Betrogene, sondern auch als jemand der die Situation für sich ausgenützt hat. Denn immerhin ermöglichte Mona nicht nur Julias Sohn Daniel den Besuch einer teuren Privatschule, sondern auch Julia selbst das Nachholen des Schulabschlusses.
Hochprofessionell und mit großer Sicherheit ist dieses im engen 4:3-Format gedrehte Debüt inszeniert, besticht durch sein komplexes Drehbuch, starke Schauspieler:innnen und eine elegante Bildsprache. Gewürdigt wurde dies auch mit der Auszeichnung mit dem Prix de la Liberty in der Sektion Un Certain Regard des Filmfestivals von Cannes und mit der Nominierung zum sudanesischen Beitrag für den Oscar als bester nicht englischsprachiger Film.
Ungewiss ist aber, wie es mit dem 38-jährigen Regisseur weitergehen wird, der zunächst zehn Jahre lang als Luftfahrtingenieur in Bahrein arbeitete, ehe er nach Khartum zurückkehrte und als filmischer Autodidakt 2020 mit einem Partner eine kleine Produktionsfirma gründete. Denn aufgrund des 2023 ausgebrochenen Bürgerkriegs kann Kordofani, der "Goodbye Julia" seinem als Offizier dienenden Vater gewidmet hat, derzeit nicht in seine Heimat zurückkehren.
Goodbye Julia Sudan / Schweden / Deutschland / Saudi-Arabien / Frankreich / Ägypten 2023 Regie: Mohamed Kordofani mit: Eiman Yousif, Siran Riak, Nazar Goma, Ger Duany, Issraa Elkogali Häggström, Rammah Al Gadi, Hussain Ahmed Almustafa, Alkarar Alzain, Ammar Ibrahim Alzain Länge: 120 min.
Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino Schaan.
Trailer zu "Goodbye Julia"
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