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Gaucho Gaucho

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • vor 2 Stunden
  • 3 Min. Lesezeit
"Gaucho Gaucho": Visuell betörendes Filmgedicht
"Gaucho Gaucho": Visuell betörendes Filmgedicht

Michael Dweck und Gregory Kershaw feiern in großartigen Schwarzweißbildern die vom Untergang bedrohte Kultur der argentinischen Gauchos: Kein sachlich-informativer Dokumentarfilm, sondern ein mit seiner Bildmacht faszinierendes und bezauberndes Filmgedicht.


Anachronistische, untergehende Traditionen haben es den Amerikanern Michael Dweck und Gregory Kershaw angetan. Nachdem der Filmemacher und bildende Künstler Dweck und der Kameramann und Produzent Kershaw mit "The Truffle Hunters" (2020), in dem sie Trüffelsucher im Piemont porträtierten, einen Sensationserfolg landeten, fokussieren sie nun auf den argentinischen Gauchos, dem lateinamerikanischen Pendant zu den US-Cowboys.


Während der Untergang der US-Cowboys schon in den 1960er Jahren in Post-Western wie "Lonely Are the Brave" (1962) geschildert wurde und sie heute bestenfalls noch als in prekären Verhältnissen lebende Rodeo-Reiter existieren – siehe Chloe Zhaos "The Rider" (2017) –, fanden Dweck und Kershaw in der nordargentinischen Provinz Salta in dem am Ostabhang der Anden gelegenen Valles Calchaquíes Gauchos, die ungebrochen ihre Traditionen leben .


Unübersehbar ist zwar, dass diese Kultur durch natürliche Gefahren ebenso wie durch Abwanderung vom Untergang bedroht ist, doch dies ist in "Gaucho Gaucho" nur am Rande ein Thema. Vielmehr wollen Dweck und Kershaw dieses Leben in Harmonie mit den Tieren und der Natur feiern. In Schwarzweiß und Cinemascope, das für viele das schönste aller Filmformate ist, hat das Duo deshalb gedreht, verzichtet auf jeden Kommentar und lässt vor allem Bilder sprechen, die Erinnerungen an die Western von John Ford wecken.


Schon die erste Einstellung, in der ein Mann in der weiten Pampa im Gras zu ruhen scheint, stimmt auf diese Verbindung von Mensch und Tier ein. Denn als sich der Mann erhebt, wird klar, dass er nicht am Boden lag, sondern auf seinem Pferd, mit dem er förmlich verschmolzen war. Wie bei diesem Auftakt bleibt die Kamera, die die beiden Regisseure selbst führten, meist unbewegt.


In langen, vielfach symmetrisch aufgebauten Totalen erfassen sie die Gauchos an einem Tisch beim Gespräch, Jugendliche, wenn sie einen Kaktus in Brand stecken, um Rauchzeichen zu senden, oder die 17-jährige Guada, wenn sie versucht ein Pferd zu zähmen. Keine Schuss-Gegenschussstrategie mit nahen Einstellungen gibt es hier, sondern in Zentralperspektive werden die Menschen, vielfach auch in Rückenansicht, vor der endlos weiten Pampa oder vor einer kahlen Wand erfasst.


Nur bei Ausritten der Gauchos in ihren traditionellen Wollponchos, Bombacha-Hosen und Boina-Hüten begleitet die Kamera die Reiter in Parallelfahrt. Überhöht wird der Ritt dabei sowohl durch Zeitlupe als auch durch Musik aus Georges Bizets Oper "Die Perlenfischer", während anderen Szenen Popmusik oder Tangos unterlegt sind.


Keine stringente Erzählung entwickeln Dweck / Kershaw, sondern reihen vielmehr Momentaufnahmen aneinander, die sich freilich mit wiederkehrenden Protagonist:innen und Motiven doch zu einer, wenn auch bruchstückhaften Geschichte und einem Bild der Gemeinschaft fügen.


Durch den Film zieht sich nämlich der alte Lelo mit seinem grauen Rauschebart, der über sein Leben reflektiert und mit dem Pfarrer über den Tod spricht, ebenso wie Santino, der vom Pferd aus Zeitungen verteilt, im lokalen Radio Sendungen moderiert und Sprecher beim Rodeo ist.


Noch mehr Gewicht gewinnt aber die 17-jährigen Guada, die mit ihrem Traum vom Leben als Gaucha auch die traditionellen Geschlechterrollen aufbricht. Ihre tiefe Verwurzelung in der Tradition zeigt sie, wenn sie darauf besteht auch in der Schule ihre Gaucha-Tracht und nicht die Schuluniform zu tragen.


Dem Schulunterricht, bei dem die Lehrerin über den Aufbau der Erde informiert, wird die praktische Ausbildung Guadas gegenübergestellt, die zunächst mit einem störrischen Pferd zu kämpfen hat, Blessuren davonträgt, wenn sie beim Rodeo nach wenigen Sekunden abgeworfen wird, dann aber doch langsam Kontrolle über ihr Pferd gewinnt.


Wie der Vater seinen Stolz auf Guada betont, weil sie immer ihren Weg gegangen sei, so führt ein anderer Vater seinen Sohn ins Handwerk des Messerschleifens ein. Unaufdringlich wird so durchgängig mit dem Gegensatz nicht nur von Mann und Frau, sondern mehr noch von Alt und Jung gespielt.


Während die Bedrohung der Traditionen durch den Fortschritt ausgespart und die moderne Welt außen vor bleibt, werden natürliche Gefahren angesprochen. Majestätisch mögen so die Kondore am Himmel kreisen, doch mit ihrer Zunahme stellen sie eine Bedrohung für die Rinder dar, und auch ein Gebet für Regen, der die lange Dürrezeit beenden soll, lässt die Gefahren, die diese Gemeinschaft bedrohen, spüren.


Wie die Bilder kunstvoll gestaltet sind, so sind auch die Dialoge, die immer wieder Witz entwickeln, nicht dem Alltag entnommen, sondern sichtlich für den Film geschrieben. Weniger auf Information zielen Dweck und Kershaw ab, sondern wollen vielmehr mit ihren markanten Figuren, den großartigen Totalen der weiten von Bergketten im Hintergrund begrenzten Pampa oder in Untersicht zu Held:innen hochstilisierten Gesichtern ein Bild malen, das das Gefühl anspricht und nachwirkt.



Gaucho Gaucho

USA / Argentinien 2024

Regie: Michael Dweck, Gregory Kershaw

Dokumentarfilm

Länge: 85 min.



Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen.



Trailer zu "Gaucho Gaucho"


 

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