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  • AutorenbildWalter Gasperi

Fragen Sie Dr. Ruth - Ask Dr. Ruth


Sie ist 92 und redet immer noch von morgens bis abends über Sex: Dr. Ruth Westheimer ist die wohl berühmteste Sextherapeutin der USA, tritt in Fernsehshows auf, schreibt immer noch Bücher, hält Vorträge. Mit einer Fülle an Archivmaterial zeichnet Ryan White einfühlsam das Leben der 1928 in Frankfurt am Main geborenen nur 1,45 Meter großen Jüdin nach.


Nach der Juristin Ruth Bader-Ginsberg widmet sich nun auch der Sexual- und Paartherapeutin Ruth Westheimer ein Dokumentarfilm. Ebenso anregend wie witzig ist der Auftakt, wenn Regisseur Ryan White Dr. Ruth ihren digitalen Assistenten Alexa über sich selbst befragen lässt und schon ein kurzer Einblick in ihr Leben geboten wird.


Mit einer rasanten Abfolge von kurzen Ausschnitten aus diversen TV-Auftritten vermittelt "Ask Dr. Ruth" nicht nur mitreißend die Unbefangenheit, mit der sie im US-Fernsehen über Sex sprach, als das noch Tabu war, sondern auch die Energie und den Schwung der Porträtierten. Aber nicht nur mit ihrer Lebensfreude und ihrem Optimismus erobert sie das Publikum im Sturm, sondern sie besitzt auch große Leinwandpräsenz und strahlt einen Charme aus, dem man sich nicht entziehen kann. Trotz anstehendem 90. Geburtstag ist ihre Aktivität ungebrochen, Ruhestand gibt es für sie nicht. Immer noch schreibt sie Bücher, hält Vorlesungen an der Uni und Gastvorträge, tritt nicht nur in TV-Shows auf, sondern auch bei einem Mittelalter-Fest.


Ausgehend von ihrem hohen Geburtstag blickt White zurück auf das Leben der 1928 in Frankfurt am Main als Karola Ruth Siegel geborenen Jüdin. In einer berührenden Mischung aus Familienfotos und – ziemlich kitschigen - Animationsszenen zeichnet der Dokumentarfilmer ihre glückliche Kindheit und die Flucht als Zehnjährige aus dem nationalsozialistischen Deutschland nach der Reichspogromnacht 1938 in Schweiz nach, wo sie in einem Waisenhaus aufgenommen wurde, aber die Juden als Menschen zweiter Klasse die Schweizer Kinder betreuen, für sie kochen und putzen mussten.


Über das neu gegründete Israel, in dem sie als Scharfschützin in der Untergrundarmee Hagana diente und bei einem Luftangriff beinahe ums Leben kam, führte sie der Weg nach Kriegsende nach Frankreich und schließlich 1956 in die USA. Immer wieder streicht Dr. Ruth dabei ihren Wissensdurst und die Bildung als zentralen Wert heraus, die sie dazu trieben zunächst an der Pariser Sorbonne ein Studium zu beginnen, das sie dann mit 42 Jahren in den USA abschloss. Nicht verwundern kann es so, dass ihre Kinder erwähnen, dass sie nicht allzu oft zu Hause war und vielfach der Vater sich um den Haushalt kümmerte.


White begleitet Dr. Ruth an die Stätten ihrer Kindheit ebenso wie nach Jerusalem, wo sie in Yad Vashem über ihre im Zuge des Holocaust ermordeten Eltern recherchiert. Er lässt sie Jugendfreunde treffen und sie mit ihnen reden, blickt auch auf ihre drei Ehen und lässt auch ihre beiden erwachsenen Kinder sowie eine Enkelin sich über die berühmte Mutter bzw. Großmutter äußern.


Berührendes persönliches Porträt verbindet sich dabei spielerisch leicht mit ihrem offenen Reden über Sex. Zum Medienstar stieg sie ab den frühen 1980er Jahren auf, als sie zunächst in der Radiosendung "Sexually Speaking" sich kein Blatt vor den Mund nahm und Zuschauerfragen zu Erektionsstörungen, Orgasmus und glücklichem Sex beantwortete.


Aber auch das gesellschaftliche Engagement Dr. Ruths beleuchtet White, erinnert an ihr Eintreten für legale Abtreibung und Gleichstellung von Homosexuellen, zu der sie wohl auch ihre eigene Erfahrung als Ausgegrenzte im Deutschland der 1930er Jahre bewegte. Obwohl sie aber im Handeln alle Kriterien einer Feministin erfüllt, verweigert sie sich selbst dieser Zuschreibung.


Etwas allzu hagiographisch mag dieser Dokumentarfilm im Finale mit der Feier zu Ruths 90. Geburtstag werden, doch befreiend ist "Ask Dr. Ruth" durch das unbekümmerte, freilich auch vielfach angefeindete Auftreten dieser nur 1,45 Meter großen Frau. Leichthändig wird dabei auch sichtbar, wie sie gesellschaftspolitisch wirkte, auch wenn sie nie zu politischen Themen Stellung bezog und im Widerspruch zum öffentlichen Auftreten in der Familie Sex nie thematisierte.


Nicht um Sex geht es hier im Kern, sondern um Menschlichkeit und ein befreites Leben, wenn sie erklärt "Respekt ist nicht verhandelbar" und den Begriff der Normalität entschieden ablehnt, denn nichts sei normal. Kongenial passt die schwungvolle Erzählweise zu Dr. Ruths Wunsch das Leben in vollen Zügen zu genießen und Eindruck zu hinterlassen und wirkt mit diesem Schwung auch ansteckend.


Wird am Spielboden Dornbirn am Samstag, den 10.4. um 15 Uhr gezeigt.


Trailer zu "Fragen Sie Dr. Ruth - Ask Dr. Ruth"


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