
Im achten Band der Reihe "Film I Lektüren", die im Münchner Verlag edition text + kritik erscheint, analysiert Christian Krug auf 110 Seiten bestechend den Bond-Film "Skyfall". Der Autor arbeitet nicht nur eine Fülle intraserieller Bezüge, sondern auch zahlreiche aktuelle Themen und britisch-nationalmythologische Motive heraus.
Aufregend an diesem Band ist allein schon die Tatsache, wie viel der Autor Christian Krug aus dem Blockbuster "Skyfall" herauslesen kann und dabei nie spekulativ wird oder das Gefühl erzeugt, dass etwas hineingelesen wird. Die Darstellung bleibt zwar immer wissenschaftlich fundiert, ist aber nie akademisch abgehoben.
Immer bleibt der wissenschaftliche Mitarbeiter am Lehrstuhl für Anglistische Literatur- und Kulturwissenschaft der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg nah am analysierten Film. Er arbeitet sowohl immer wieder intraserielle Bezüge zu früheren Bond-Filmen als auch die Einarbeitung aktueller politischer und militärischer Entwicklungen heraus.
Förmlich elektrisierend ist schon der Einstieg mit der Analyse der berühmten Gun-Barrel-Sequenz. Krug widmet sich dabei nicht nur deren Rolle in der Geschichte der Bond-Serie, sondern blickt auch auf deren Neupositionierung in "Skyfall". Zudem wird aber auch mit Bezug auf Edwin S. Porters "The Great Train Robbery" und Sam Fullers "Forty Guns" das Verhältnis von Schuss und Film generell untersucht.
Als zentrales Thema von "Skyfall" erkennt Krug schon aufgrund der Neupositionierung der Gun-Barrel-Sequenz gegen Ende des Films die Auseinandersetzung mit der Zeitlichkeit. Einerseits wird dabei die starke Rückbindung dieses Reboots auf die Anfänge der Serie mit zahlreichen intraseriellen Bezügen wie dem legendären Aston Martin DB 5 oder der Ausstattung des Büros von M herausgearbeitet, andererseits auch die Psychobiographie der Titelfigur.
Analysiert werden nicht nur Bonds traumatischen Kindheitserfahrungen, die ihn schließlich zurück zur schottischen Skyfall Lodge führen, sondern auch wie sich in dieser Bewegung, aber auch in der Figur Bonds das spannungsgeladene Verhältnis zwischen England und Schottland spiegelt. Ausführlich arbeitet Krug dabei auch heraus, wie im Film immer wieder - bis hin zu Bildern von William Turner - auf den Niedergang des Britischen Empires Bezug genommen wird.
Der Autor arbeitet aber auch akribisch heraus, wie Regisseur Sam Mendes und Kameramann Roger Deakins in ihrem Agentenfilm aktuelle weltpolitische Gefahren einarbeiten. Schlüssig werden so die Parallelen zwischen Filmhandlung und realer Bedrohung durch Cyberterrorismus und neue postnationale Kriege mit einzelnen Verbrechern bzw. Organisationen, die in Zeiten solcher Cyberattacken unsichtbar bleiben, aufgezeigt.
Ausführlich blickt Krug auch auf Bonds Gegenspieler Silva, der – zumindest für den Autor – nach dem Vorbild Julian Assanges gezeichnet ist. Spannend wird dabei auch die Bedeutung von Silvas Insel, für die die japanische Insel Hashima als Vorlage diente, vermittelt. Dabei wird nicht nur aufgezeigt, wie solche Schauplätze von Bond-Filmen immer wieder den Tourismus ankurbelten, sondern auch wie "Skyfall" und die Bondfilme Auswirkungen auf die politische Erinnerungskultur haben.
So unterstützte "Skyfall" durch die Präsenz Hashimas deren Aufnahme als UNESCO-Weltkulturerbe entscheidend, obwohl es dagegen aufgrund der kolonialen Vergangenheit der Insel mit koreanischen Zwangsarbeitern heftige Proteste gab. Andererseits sorgte beispielsweise die Parade am Dia de los Muertos in Mexiko-Stadt in Bond-Film "Spectre" erst dafür, dass diese zuvor private Veranstaltung nun alljährlich öffentlich durchgeführt wird.
Aber auch die intratextuellen Bezüge auf die Filmgeschichte deckt Krug immer wieder auf. Parallelen zu Hitchcocks "North by Northwest" werden ebenso herausgearbeitet wie zu dem in Schottland spielenden "The 39 Steps". Die Beobachtungs- und Spiegelkabinettszene in Shanghai regt den Autor dagegen wieder an, sie mit Hitchcocks "Rear Window" und Orson Welles´ "Lady from Shanghai" zu vergleichen. Detailliert werden bei dieser Szene auch Roger Deakins Kameraarbeit und die Farbdramaturgie analysiert. Aber der Autor zeigt auch auf, wie in "Skyfall" in dieser Szene über ein Gemälde der Bezug zu anderen Bond-Filmen hergestellt wird.
Als großen Wurf darf man diesen schmalen Band angesichts der vielschichtigen und akribischen Analyse, die durch über 270 Fußnoten auch bestens fachlich gestützt ist, ansehen. Denn dieses Buch weckt große Lust "Skyfall" nochmals zu sehen und den vielfältigen Erkenntnissen von Krug nachzuspüren. Gleichzeitig macht diese großartige Interpretation und Analyse aber auch ganz allgemein bewusst, wie aufregende und vielfältige Themen und Interpretationsmöglichkeiten auch populäre Kinofilme bieten, die vielfach auf ihre oberflächliche Unterhaltung reduziert werden.
Christian Krug, Film | Lektüren 8: Sam Mendes: SKYFALL. Edition text + kritik, München 2024. 112 S., € 20, ISBN 978-3-96707-999-9
Comments