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Filmbuch: Publikumspiraten - Das Genrekino der DEFA und seine Regisseure (1946 - 1990)

Autorenbild: Walter GasperiWalter Gasperi

Vom Märchenfilm bis zum "Indianerfilm". – Der bei Bertz + Fischer erschienene Sammelband der DEFA-Stiftung bietet einen umfangreichen und fundierten Einblick in das wenig bekannte, aber vielfältige Genrekino der DDR und dessen Regisseure.


Denkt man ans Kino der DDR, fallen einem zuerst Regisseure wie Konrad Wolf und Frank Beyer ein, die in ihren Filmen sich immer wieder mit dem Nationalsozialismus und dem Alltag in der DDR auseinandersetzten. Wenig bekannt ist dagegen, dass es im Arbeiter- und Bauernstaat auch ein vielfältiges Genrekino gab.


"Publikumspiraten" nennen die Herausgeber Stefanie Mathilde Frank und der kürzlich verstorbene Ralf Schenk ihr Buch, weil das Genrekino versucht habe, das Publikum abseits der dezidiert politischen Produktionen mit Spannung, Ironie und Lust am Fabulieren zu kapern.


Mit rund einem Dutzend Autoren bietet der Sammelband einen vielschichtigen und fundierten Einblick. Auf einen einleitenden Beitrag folgt so ein Blick Mila Ganevas auf das Genrekino der unmittelbaren Nachkriegszeit (1946 – 1949), in der Komödien und Krimis zwar aktuelle Probleme wie Wohnungsnot und Lebensmittelknappheit ansprachen, vor allem aber Unterhaltung und Ablenkung vom harten Alltag bieten sollten.


In einem eigenen Abschnitt widmet sich Stefanie Mathilde Frank den Zirkus- und Heimatfilmen dieser Zeit. Detailliert arbeitet die Autorin anhand der Filmbeschreibungen heraus, wie zwar Elemente früherer Zirkusfilme gepflegt wurden, sowohl in diesem Genre als auch im Heimatfilm aber immer wieder Generationenkonflikte im Zentrum stehen. Auch die Unterschiede zum westdeutschen Heimatfilm, mit dem teilweise parodistisch gespielt wurde, werden anschaulich dargestellt, denn die Mühen der Arbeit auf dem Land wurden im Gegensatz zum westdeutschen Heimatfilm nicht idyllisch verklärt.


Ausführlich werden auch die zentralen Regisseure vorgestellt. Während Ralf Schenk Einblick in Leben und Werk von Gottfried Kolditz bietet, der Abenteuerfilme ebenso wie "Indianerfilme", Musik- und Märchenfilme drehte, widmet sich Georg Seeßlen Günter Reisch, der Spezialist für Komödien und politische Biographien war.


Olaf Möller porträtiert Joachim Hasler, der mit Krimis anfing, dann aber vor allem durch Musicals bekannt wurde. Kinder- und Märchenfilme waren dagegen das Metier von Siegfried Hartmann, dessen Filme Anett Werner-Burgmann ausführlich beschreibt.


Günter Agde wiederum zeichnet den Weg Konrad Petzolds vom Kinderkrimi über den Krimi zum "Indianerfilm" nach, während Claus Löser auf drei Kriminalfilme von Richard Groschopp blickt. Guido Altendorf widmet sich den teils satirischen, teils nur unterhaltsamen Komödien von Roland Oehme und Ralf Schenk bietet einen detaillierten Einblick in die technischen und bürokratischen Probleme bei der Produktion von Werner W. Wallroths Mantel- und Degen-Film "Hauptmann Florian von der Mühle", der auf 70mm gedreht werden sollte.


Auf diese fundierten Porträts folgt ein abschließender Abschnitt, in dem die einzelnen Genres vorgestellt werden. Wolfgang Thiel widmet sich der Blüte des Opern- und Operettenfilms und dem Niedergang dieses Genres durch Fernsehübertragungen. Hans J. Wulff fokussiert auf den Revue- und Schlagerfilmen der 1960er Jahre.


Andreas Kötzing wiederum arbeitet Parallelen und Unterschiede zwischen den Spionagefilmen des Westens und denen der DDR heraus, bei denen der Auslandsspionagedienst mit den "Kundschaftern" im Zentrum stand, die Bespitzelung der eigenen Bevölkerung aber aus verständlichen Gründen ausgespart wurde.


Barbara Wurm zeichnet anhand der vier Filme "Der schweigende Stern" (1959), "Signale – Ein Weltraumabenteuer" (1970), "Eolomea" (1972) und "Im Staub der Sterne" (1976) zentrale Themen und Entwicklung des utopischen Films in der DDR nach, ehe sich abschließend Fabian Tietke dem "Indianerfilm" widmet. Tietke arbeitet dabei auf der Basis genauer Filmbeschreibungen detailreich die Unterschiede zum europäischen und amerikanischen Western und die entschiedene Parteinahme für die indigene Bevölkerung Nordamerikas heraus.


Angesichts der ebenso detailreichen wie fundierten, aber nie akademischen, sondern immer leicht lesbaren Beiträge liegt mit dieser Publikation zweifellos ein Basiswerk zum Thema vor. Qualitativ hochwertige Bilder sowie ein Film- und ein Personenregister, die ein problemloses Nachschlagen ermöglichen, runden den bestechenden Gesamteindruck ab.


Stefanie Mathilde Frank / Ralf Schenk (Hg.), Publikumspiraten. Das Genrekino der DEFA und seine Regisseure (1946 – 1990), DEFA-Stiftung / Bertz + Fischer, Berlin 2022. 416 S., ISBN 978-3-86505-421-0, € 29

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