Fünf Kurzfilme und fünf lange Spielfilme hat die 1972 geborene Jessica Hausner seit 1997 gedreht. Sabrina Gärtner stellt in ihrer Dissertation detailreich das Werk der Wienerin vor, deckt Gemeinsamkeiten auf und fokussiert ausführlich auf wiederkehrenden märchenhaften Motiven.
Mit fünf langen Spielfilmen ist das Werk Jessica Hausners noch sehr überschaubar, die im Büchner Verlag erschienene Dissertation, die die Medienwissenschaftlerin Sabrina Gärtner an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt verfasst hat, bringt es inklusive Anhang dennoch auf beachtliche 500 Seiten.
Gärtner gliedert ihr Buch in drei große Kapitel. Im ersten stellt die Autorin ausführlich die einzelnen Filme vor vom 25-minütigen Kurzfilm "Flora", mit dem Hausner 1997 der Sprung ans Filmfestival Locarno gelang, über ihr Langfilmdebüt "Lovely Rita" (2001), der beim Filmfestival Cannes in der Programmschiene "Un certain regard" seine Premiere feierte, und den Festivalerfolg "Lourdes" (2009), der nicht nur in Venedig ausgezeichnet wurde, bis zum Science-Fiction-Film "Little Joe" (2019), mit dem Hausner den Sprung in den Wettbewerb von Cannes schaffte.
Jeweils wird zuerst der Inhalt skizziert, ehe Produktion und Filmförderung,
Festivaleinladungen und Auszeichnungen sowie die Verwertung beleuchtet werden. Die Darstellung besticht dabei durch akribische Detailversessenheit, bei der auch Wiedersprüche und Fehler in der Literatur aufgedeckt werden. Spannendster Teil dieses Kapitels sind jeweils die Abschnitte, in denen ausgehend vom jeweiligen Film ein spezielles wiederkehrendes Charakteristikum in Hausners Werk analysiert wird.
Bei "Flora" steht dabei der Musikeinsatz in diesem Kurzfilm im Zentrum, den mittellangen Film "Inter-View" (1998) nimmt Gärtner als Anlass, um auf die Anfänge von Hausners Filmen zu blicken, beim Spielfilmdebüt "Lovely Rita" werden das vielfältige Bezugsnetz des scheinbar einfachen Titels und die Offenheit von Hausners auffallend kurzen Filmtiteln herausgearbeitet.
Der Horrorfilm "Hotel" (2004) bietet sich an, um auf Hausners sich wiederholendes Spiel mit dem Genre einzugehen, während anhand von "Lourdes" das Faible der Österreicherin für interpretationsoffene Handlungen und Filmenden herausgearbeitet wird. Stilistische Besonderheit von Hausners Filmen sind "Bewegte Stillleben", auf die Gärtner speziell beim historischen Film "Amour Fou" (2014), in dem vom Doppelselbstmord Heinrich von Kleists und Henriette Vogels erzählt wird, eingegangen wird. Und bei "Little Joe" fokussiert die Autorin schließlich auf die Entwicklung im Einsatz der Sprache von Dialekt in "Lovely Rita" über Hochsprache bis zur Weltsprache Englisch in "Little Joe".
Aber auch "Toast" (2005), der einerseits als einminütiger Trailer für das Grazer Filmfestival Diagonale, andererseits als 40-minütiger Experimentalfilm entstand und das für das oberösterreichische Duo Attwenger gedrehte Musikvideo "Oida" werden ausführlich vorgestellt. Bei letzterem bietet Gärtner Einblick in Hausners Humor und ihr Spiel mit Filmvorbildern und Insiderwitzen. Aber auch die Bedeutung eines gleichbleibenden Teams mit beispielsweise Hausners Schwester Tanja als Kostümbildnerin, Martin Gschlacht als Kameramann und Katharina Wöppermann als Szenenbildnerin wird herausgearbeitet.
Im zweiten großen Abschnitt versucht Gärtner unter dem Titel "Verortungsversuch" Hausner in die Nouvelle Vague Viennoise einzuordnen, blickt auch auf die Geschichte des österreichischen Films von den 1960er bis 1990er Jahren, zeigt die Bedeutung, aber auch die Kosten von Festivalteilnahmen, aber auch den mangelnden Box-Office-Erfolg auf. Gleichzeitig werden Parallelen zur Berliner Schule und die Bedeutung von Netzwerken beleuchtet.
Kernstück des Buchs ist aber vielleicht der 130-seitige Abschnitt "Eine märchenhafte Welt". Ausgehend von verschiedenen Grimm´schen Märchen wie "Aschenputtel", "Rotkäppchen", "Fundevogel", "Rapunzel", "Das Wasser des Lebens" oder "Schneewittchen" untersucht Gärtner hier Mutterfiguren in den Filmen Hausners ebenso wie die Rolle der Farbe Rot, markante Filmanfänge und –enden, die Rolle von Spiegeln und von Balztänzen oder der wiederkehrenden märchenhaften Suche nach der Lösung eines Problems.
Auch auf einen Blick auf das Langzeitprojekt "Medea" und den derzeit in Arbeit befindlichen Spielfilm "Club Zero" verzichtet Gärnter nicht und auch ausführliche Verzeichnisse der Literatur und von Online-Quellen sowie der zitierten Medien fehlen nicht. Dazu kommen im Anhang die Niederschrift eines Skype-Interviews, das die Autorin mit Hausner führte, sowie Protokolle eines Beitrags auf Radio FRO und eines des TV-Senders Oktoskop.
Keine Wünsche lässt "Die Filme der Jessica Hausner" hinsichtlich sorgfältigen wissenschaftlichen Arbeitens und differenzierter Analyse offen, bleibt aber trotz der Wissenschaftlichkeit immer leicht lesbar und spannend. Da sieht man dann auch über die doch etwas spärliche Bebilderung hinweg. Gewünscht hätte man sich aber doch eine Filmographie mit ausführlichen Credits zu den Filmen. Und wünschen muss man sich auch, dass vor einer allfälligen zweiten Auflage das Buch nochmals einem sorgfältigen Lektorat unterzogen wird, denn orthographische und auch - wohl bei diversen Überarbeitungen entstandene - sprachliche Fehler finden sich doch einige.
Sabrina Gärtner, Die Filme der Jessica Hausner. Referenzen, Kontexte, Muster, Büchner-Verlag, Marburg 2020, 537 S., € 34, ISBN 978-3-96317-209-0 (Print) (ePDF: € 27, ISBN 978-3-96317-739-2
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