Joachim A. Lang bietet in seinem Doku-Drama in einer Mischung aus inszenierten Szenen, Archivmaterial und Zeitzeugenaussagen einen Einblick in die Propaganda- und Manipulationsmethoden von Joseph Goebbels und zeichnet gleichzeitig die zentralen Ereignisse in der Geschichte des Dritten Reichs vom "Anschluss" Österreichs im März 1938 bis zur Kapitulation im Mai 1945 nach. – Ein sorgfältig recherchierter, aber auch sehr biederer Film.
Schon mit dem Vorspanninsert macht Joachim A. Lang klar, dass er nicht nur die historischen Ereignisse nachzeichnen will, sondern mit dem Blick ins Zentrum des nationalsozialistischen Machtapparats und auf die Propagandamethoden von Joseph Goebbels auch Anleitung bieten will, um "die Hetzer der Gegenwart zu entlarven".
Der pädagogische Gestus ist "Führer und Verführer" damit von diesem Auftakt bis zum Schlusszitat, in dem der Auschwitz-Überlebende Primo Levi betont, dass sich diese Ereignisse wiederholen können, da sie schon einmal geschehen sind, eingeschrieben. Nach einer Pre-Title-Sequenz, mit der schon das Ende des Dritten Reichs sowie der Doppelselbstmord von Joseph (Robert Stadlober) und Magda Goebbels (Franziska Weisz) sowie die Ermordung ihrer sechs Kinder vorgenommen wird, springt Lang in den März 1938 zum "Anschluss" Österreichs.
Mit Zeitinserts gliedert der deutsche Regisseur, der zuletzt in "Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm" (2018) raffiniert Brechts Leben mit dessen "Dreigroschenoper" und deren Erstverfilmung verknüpfte, sein Doku-Drama. So zeichnet der Film chronologisch die wichtigsten Ereignisse von der Besetzung des Sudetenlands (1.10. 1938) und der Zerschlagung der Tschechoslowakei (15.3. 1939) über die Reichspogromnacht (9.11. 1938), den Kriegsbeginn (1.9. 1939) und den Angriff auf die Sowjetunion (22.6. 1941) bis zur Wende mit der Schlacht bei Stalingrad (1942/43), dem Stauffenberg-Attentat (20.7. 1944), der Bombardierung Berlins und der finalen Niederlage und dem Selbstmord von Hitler und Goebbels nach.
Ganz auf die Täter fokussiert Lang dabei, bietet aber auch Einblick in Goebbels Familienleben und seine Affäre mit der tschechischen Schauspielerin Lída Baarová (Katia Fellin). Wie Hitler (Fritz Karl), der für Goebbels Kinder der "Onkel Führer" ist, dabei quasi als Paartherapeut fungiert, um eine Scheidung seines Propagandaministers zu verhindern, wirkt reichlich seltsam.
Auch die klassischen Schauplätze werden abgehakt, wenn Goebbels Hitler mehrfach in seinem Feriendomizil in Obersalzberg trifft oder sich von ihm die Wolfsschanze zeigen lässt. Wenig Profil gewinnen dabei die anderen Nazi-Bonzen vom Reichsluftfahrtminister Hermann Göring über Außenminister Joachim von Ribbentrop bis zum NS-Chef-Ideologen Alfred Rosenberg, die Goebbels seiner Geliebten – und damit dem Publikum – mit bissigen Bemerkungen vorstellt. – Sichtbar werden hier immerhin die Feindseligkeiten innerhalb der Führungsriege und in der sich ändernden Sitzordnung am Tisch des Führers Belohnung und Degradierung der einzelnen Minister.
Im Zentrum stehen aber die Propagandamethoden von Goebbels. Eindrücklich zeigt Lang dabei, wie dieser die Wahrheit durch Bildauswahl und Wortwahl umdeutete und wie er es verstand, die Massen mitzureißen, wie er durch geschickte Inszenierung die Rückkehr Hitlers nach Berlin nach dem "Anschluss" Österreichs zu einer Triumphfahrt hochstilisierte und den Antisemitismus schürte.
Inhaltlich problematisch ist dabei freilich, wie mit dieser Zeichnung von Goebbels als Verführer das Volk seiner Verantwortung - zumindest teilweise - enthoben wird und als Opfer eines brillanten Manipulators erscheint.
Eine zentrale Rolle nimmt im Film dabei die berüchtigte Sportpalastrede (18.2. 1943) ein, in der wie in vielen Szenen geschickt die inszenierte Probe der Rede vor dem Spiegel und vor der Familie und Archivmaterial von der realen Rede ineinander übergehen. Aber auch Himmlers Posener Reden vor SS-Offizieren bzw. vor Reichs- und Gauleitern, in denen der Reichsführer SS Massenerschießungen zu ehren- und heldenhaften Taten erklärte, bleiben nicht ausgespart.
Viel Raum nimmt aber auch die Propaganda durch Filme ein. Kurz angeschnitten wird nur Leni Riefenstahls "Olympia"-Film, breiteren Raum nehmen der Einsatz von Veit Harlans "Jud Süß" und von "Der ewige Jude" zur antisemitischen Hetze und von Harlans "Kolberg" zur Steigerung des Durchhaltewillens ein.
So geschickt aber auch die Verbindung von Archivmaterial und inszenierten Szenen ist und so eindrücklich die eingestreuten Zeitzeugenaussagen von NS-Opfern ein Bild der Entmenschlichung zeigen und für Menschlichkeit plädieren, so sind die Spielszenen doch sehr bieder und hölzern inszeniert.
Einzig das Spiel von Robert Stadlober, der mit vollem Einsatz Goebbels verkörpert, und von Fritz Karl, der Hitler nicht als lärmend und polternd, sondern als zurückhaltend und unaufgeregt zeichnet, hauchen diesen Szenen Leben ein. Spannung entwickelt "Führer und Verführer" dabei zwar auch durch den ungewöhnlich nahen und intimen Blick auf diese Täter der Geschichte, doch eine wirklich flüssige und atmosphärisch dichte filmische Erzählung stellt sich nicht ein. Vielmehr werden häppchenweise historische Ereignisse abgehakt und diese mit der privaten Geschichte der Familie Goebbels und Hitlers verknüpft.
Das ist in der dicht gedrängten Faktenfülle bis hin zum finalen Plädoyer der Zeitzeugen, jeden Menschen als Menschen zu achten, zwar durchaus spannend, bietet insgesamt aber weder neue Einsichten noch großes Kino, sondern wirkt in erster Linie wie ein Schulfilm für den Geschichteunterricht.
Führer und Verführer Österreich / Deutschland 2024 Regie: Joachim A. Lang mit: Franziska Weisz, Fritz Karl, Robert Stadlober, Raphaela Möst, Sebastian Thiers, Oliver Fleischer, Emanuel Fellmer Länge: 136 min.
Läuft derzeit in den österreichischen und deutschen Kinos, z.B. im Cinema Dornbirn. - Ab 22.8. in den Schweizer Kinos.
Trailer zu "Führer und Verführer".
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