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  • AutorenbildWalter Gasperi

Evil Does Not Exist

Nach seinem vielfach preisgekrönten Meisterwerk "Drive My Car" legt Ryūsuke Hamaguchi eine poetisch-meditative Parabel über das Verhältnis von Mensch und Natur vor, die bei aller Einfachheit voller Rätsel ist.


Spätestens mit "Drive My Car", der zu den großen Filmen des Jahres 2021 zählt, schaffte der 1978 geborene Japaner Ryūsuke Hamguchi seinen internationalen Durchbruch. Auf dieses leise Drama über Schuld und Versöhnung lässt er nun einen Film folgen, der abseits ausgetretener Pfade leise und poetisch vom Verhältnis zwischen Mensch und Natur erzählt.


Ausgangspunkt für den Film war dabei die Bitte der Komponistin Eiko Ishibashi, die schon für die Filmmusik von "Drive My Car" verantwortlich zeichnete, Clips für einen Live-Auftritt zu drehen. Sukzessive entwickelte Hamaguchi in der Folge aus diesen Aufnahmen einen ganzen Spielfilm.


Die sphärische Musik ist so schon der ersten minutenlangen Kamerafahrt durch einen Wald mit Blick durch das lichte Geäst in Richtung Himmel unterlegt. Abrupt wird diese Szene mit einem Schnitt von der Stille abgelöst, die ein Mädchen beim Gang durch den Wald begleitet, ehe ein weiterer Schnitt nochmals einen markanten akustischen Kontrast bringt, wenn ein Mann mit einer laut surrenden Kettensäge Stämme zu Brennholz zerkleinert.


Dieser Mittdreißiger namens Takumi (Hitoshi Omika) lebt allein mit seiner neunjährigen Tochter Hana (Ryo Nishikawa) in einem Holzhaus im Wald. Mehrmals sieht man zwar ein Familienbild mit einer Frau, doch offen bleibt, was mit dieser passiert ist. Ist sie verstorben oder hat sie Mann und Tochter verlassen?


Es gehört zur Kunst Hamaguchis, dass er nicht alles ausformuliert, sondern den Zuschauer:innen viel Freiraum lässt. Gezielt spielt er so auch mit dem Gegensatz von Szenen, die mit der Musik von Ishibashi unterlegt sind, Momenten völliger Stille und dem Lärm der Kettensäge.


Ganz zentral kommt aber auch der Gegensatz von Stadt und Land, von Zivilisation und Natur ins Spiel, wenn sich im nahe bei Tokio gelegenen 6000 Einwohner zählenden Dorf die Nachricht verbreitet, dass ein Unternehmen die Errichtung eines Resorts für Luxus-Camping, das aufgrund der Verballhornung von Glamour und Camping Glamping genannt wird, zu errichten.


Zunächst vermittelt Hamaguchi im ruhigen und geduldigen Blick aufs Wasserfassen bei einer kleinen Quelle und die unberührten Wälder aber noch das Bild eines Lebens im Einklang mit der Natur. Dieser achtsame Umgang wird auch spürbar, wenn Vogelfedern aufgelesen, begutachtet und wiederverwendet, Wasabi gepflückt, Wildspuren geprüft und die einzelnen Bäume benannt werden.


So achtsam wie mit der Natur gehen hier aber auch die Menschen miteinander um. Sie bilden eine echte Gemeinschaft, bei der sich jeder um den anderen sorgt. Was bei anderen Regisseur:innen allzu verklärend und kitschig ausfallen könnte, be- und verzaubert bei Hamaguchi durch die sanft-poetische Erzählweise.


Aber auch in dieser scheinbar so intakten Welt schleichen sich schon Störungen ein, wenn man in der Ferne einen Schuss hört, der von einer Jagd kündet, oder wenn der Kadaver eines Rehs gefunden wird. Bald stellen sich aber auch die Vertreter des neuen Projekts ein, der Chef freilich lässt sich aus Zeitgründen entschuldigen.


Auf den wortarmen ersten Teil folgt so eine dialogreiche Diskussion bei der Präsentation des Glamping-Plans vor den Bürger:innen. Rasch wird klar, dass das Projekt nicht durchdacht ist, einzig auf schnellen Profit ausgerichtet ist und möglichst schnell durchgezogen werden soll, um Fristen für Subventionen einzuhalten.


Doch die Bürger:innen decken die Schwächen auf. Sie werfen Fragen nach Verschmutzung des Quellwassers durch den Klärtank, die Gefahr von Waldbränden in der trockenen Region, aber auch nach den Auswirkungen des Resorts auf die lokalen Geschäfte auf.


Vorwiegend mit Floskeln reagieren die beiden Proponent:innen des Projekts, die selbst nur Quereinsteiger sind und aus dem Pflege- bzw. Schauspielberuf kommen, auf die Fragen der Bürger:innen, betonen aber, dass die Bedenken berücksichtigt und eingearbeitet werden.


Bei ihrem Bericht an den Chef, der auch hier nur per Zoom-Konferenz präsent ist, zeigt dieser aber wenig Verständnis dafür, fordert die beiden Mitarbeiter:innen vielmehr auf, nochmals ins Dorf zu fahren und Takumi für das Projekt zu gewinnen, indem sie ihm einen Job anbieten.


Statt linear zu erzählen und einer Hauptperson zu folgen, arbeitet Hamaguchi multiperspektivisch. Steht zunächst Takumi im Zentrum, gewinnen bald die beiden Vertreter:innen des Glamping-Projekts an Gewicht und Einblick in die Dorfgemeinschaft wird ebenso geboten wie in die Strategien des Unternehmens.


Wunderbar unaufgeregt und ruhig bleibt die Erzählweise dabei. In langen Einstellungen lässt er den Szenen und Figuren Raum und lässt so auch die beiden Projektvertreter:innen bei der Autofahrt zurück ins Dorf in einer schier endlosen Einstellung Einblick in ihre persönliche Situation bieten. Indem so auch diese Charaktere Profil gewinnen, wird ein klares Gut-Böse-Schema durchbrochen.


So klar das aber auch erzählt ist, so rätselhaft bleibt der Film einerseits durch Hamaguchis Weigerung über seine Charaktere mehr preiszugeben, andererseits durch das verstörende und abrupte Ende, bei dem schließlich wieder die Kamera mit Blick durch das lichte Geäst durch den Wald gleitet - nun aber bei nächtlichem und nur von einem Vollmond erhellten Himmel.


Statt durch klare verbale Botschaften stellt sich so vor allem durch die Bildsprache, durch die ausgiebigen Blicke auf das klare Wasser, den idyllischen Wald, ein großes Feld und einen halbvereisten See ein leises, aber intensives Plädoyer für den Schutz und die Erhaltung der Natur und eine Absage an rücksichtslose Profitgier und Raubbau an der Natur ein.

Eindringlich erinnert Hamaguchi dabei mit der nahezu wortlos bleibenden Tochter Takumis auch an die Verantwortung gegenüber der nächsten Generation. Denn ist die Neunjährige von den Entscheidungen der Erwachsenen auch gänzlich ausgeschlossen, so wird ihre Zukunft doch ganz entscheidend davon betroffen sein.

 

 

Evil Does Not Exist Japan 2023 Regie: Ryūsuke Hamaguchi mit: Hitoshi Omika, Ryō Nishikawa, Ryūji Kosaka, Ayaka Shibutani, Hazuki Kikuchi, Hiroyuki Miura, Yoshinori Miyata, Taijirō Tamura, Yūto Torii Länge: 106 min.


Läuft jetzt in den Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino Schaan.

TaSKino Feldkirch im Kino GUK: Do 18.4., 18 Uhr; Fr 19.4., 18.15 Uhr; Sa 20.4., 18.15 Uhr

Filmforum Bregenz im Metrokino Bregenz: Do 25.4., 20 Uhr FKC Dornbirn im Cinema Dornbirn: Mi 5.6., 18 Uhr + Do 6.6., 19.30 Uhr



Trailer zu "Evil Does Not Exist"



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