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AutorenbildWalter Gasperi

Emily


Mit "Wuthering Heights" schuf Emily Brontë (1818 – 1848) einen Klassiker der englischen Literatur. Die Schauspielerin Frances O´Connor interessiert sich in ihrem Regiedebüt aber nicht für diesen Roman, sondern für die im Yorkshire des 19. Jahrhunderts als Sonderling geltende Autorin: Ein prächtig gefilmtes, atmosphärisch dichtes Drama, das von einer großartigen Emma Mackay in der Hauptrolle getragen wird.


Rund 20 Mal wurde Emily Brontës 1847 unter dem Pseudonym Ellis Bell erschienener Roman "Wuthering Heights" seit der Stummfilmzeit für Kino und Fernsehen verfilmt. Herausragend sind die Adaptionen von William Wyler (1939) und Andrea Arnold (2011), auch Jacques Rivette verfilmte den Stoff 1985 unter dem Titel "Hurlevent". Einen Welterfolg landete aber auch die Sängerin Kate Bush 1978 mit ihrem Song "Wuthering Heights", in dem sie die tragisch endende romantische Liebesgeschichte von Cathy and Heathclith nacherzählt.


Doch wer ist eigentlich die Frau, die diesen klassischen Roman schrieb? Ein Biopic über die Brontës hat Curtis Bernhardt unter dem Titel "Devotion" schon 1942 gedreht. Ida Lupino spielte darin Emily und Olivia de Havilland Charlotte. 1979 folgte mit André Techinés "Les soeurs Brontë" ein weiterer biographischer Film über das Leben der drei berühmten Schwestern Emily, Charlotte und Anne.


Dass Frances O´Connor sich künstlerische Freiheiten genommen hat und nicht an historischer Exaktheit interessiert ist, gesteht die in Australien aufgewachsene Britin in einem Nachspanninsert. Sie zeichnet auch nicht das ganze Leben Emily Brontës nach, sondern konzentriert sich auf deren letzten Lebensjahre.


Um "Wuthering Heights" aus dem Leben der mit 30 Jahren an einer Lungenentzündung verstorbenen Schriftstellerin heraus zu erklären, erfindet O´Connor so einerseits eine leidenschaftliche, aber unglückliche Liebesgeschichte und lässt Emily andererseits immer wieder in der weiten Moor- und Heidelandschaft, die auch in ihrem Roman eine zentrale Rolle spielt, ihre Freiheit suchen.


Von der ersten Szene an legt wird dabei die Perspektive festgelegt. Immer wieder erfasst die Kamera frontal von vorne in Großaufnahme das Gesicht Emilys. Eindrücklich spielt Emma Mackay die Pfarrerstochter als junge Frau, die nach Unabhängigkeit strebt, aber mit ihrem eigenen Denken im ländlichen Yorkshire als Sonderling gilt.


Nicht nur der Vater, sondern auch ihre Schwestern Charlotte, die später den Roman "Jane Eyre" schreiben wird, und Anne haben wenig Verständnis für den Eigensinn Emilys. Einen Verbündeten findet sie dagegen in ihrem Bruder Branwell (Fionn Whitehead). Auch er geht seinen Weg, erfüllt nicht die Vorstellungen des Vaters, sondern will das Leben genießen und will Schriftsteller werden. Gemeinsam mit ihm schreit sie in der weiten Landschaft auch "Die Gedanken sind frei" hinaus und lässt sich dies auch auf ihren Unterarm tätowieren.


Eine zweite Bezugsperson stellt sich mit dem fiktiven jungen Vikar William Weightman (Oliver Jackson-Cohen) ein. Von ihm fühlt sie sich verstanden und eine leidenschaftliche Liebe entwickelt sich, doch Weightman, der zwischen religiösen Zwängen und Gefühlen zerrissen ist, stößt Emily schließlich zurück.


Geschickt spielt O´Connor immer wieder mit dem Gegensatz von engen Räumen, in denen sich auch Emily eingesperrt fühlt, und der ebenso weiten wie herben Moor- und Heidelandschaft Yorkshires. Großartig filmt Kamerafrau Nanu Segal sowohl die nur von Kerzenlicht und Öllampen erleuchteten Innenräume als auch die grüne Landschaft, über der immer wieder heftige Gewitter niedergehen.


Von der Ausstattung über Kameraarbeit bis zu Schauspiel ist hier alles mit Sorgfalt und Feingefühl ausgeführt, und dennoch fehlt es diesem Film etwas an inszenatorischem Verve. Spürbar wird das vor allem im stärksten Moment, in dem Emily bei einem Spiel eine venezianische Maske anzieht und in die Rolle der verstorbenen Mutter schlüpft.


Wie sie diese Rolle ausfüllt, verunsichert nicht nur ihre Geschwister, sondern auch die Zuschauer:innen, denn in diesem grandiosen Moment wird "Emily" quasi zu einem famosen Geisterfilm, in dem die Grenzen von Realismus und Imagination verschwimmen. Doch selten wagt sich O´Connor zu solchen Ausbrüchen aus der sorgfältigen, aber doch etwas kraftlosen Erzählweise. Emma Mackays leidenschaftliches Spiel sorgt aber dafür, dass man über diese Schwäche hinwegsieht.


So gelingt es der Regisseurin und ihrer Hauptdarstellerin insgesamt nicht nur einer großen Autorin, sondern auch einer widerständigen, ihre Eigenständigkeit in der rigiden viktorianischen Gesellschaft behauptenden Frau ein starkes Denkmal zu setzen. Zeuge eines schriftstellerischen Prozesses wird man dabei allerdings kaum, denn eine Feder ergreifen und schreiben sieht man Emily erst gegen Ende des Films. Kurz darauf hält sie dann auch schon die drei Bände ihres Romans in den Händen, den sie im Film im Gegensatz zur Realität unter ihrem eigenen Namen veröffentlicht.


Emily Großbritannien / USA 2022 Regie: Frances O'Connor mit: Emma Mackey, Fionn Whitehead, Oliver Jackson-Cohen, Alexandra Dowling, Amelia Gething, Adrian Dunbar, Gemma Jones Länge: 130 min.



Läuft derzeit in den österreichischen Kinos, z.B. im Kino Guk in Feldkirch


Trailer zu "Emily"




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